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„Das Vakuum gehört dazu“

Aus der Isolation zur Identität: „Kunst der DDR-Zeit“ im Museum der Bildenden Künste Leipzig  ■ Von Katrin Bettina Müller

Ungewöhnlich schnell ist die Kunst der DDR zu einem historischen Faktum fürs vereinte Deutschland geworden. An dieser Übereinkunft entzündete sich in Westberlins Neuer Nationalgalerie ein Streit über die Neueinordnung der DDR-Maler zwischen die Künstler des Westens. Für viele Museen der neuen Bundesländer stellt sich die Frage, ob sie auf Distanz zum alten Bestand gehen sollen, ob sie eine Trennung von „offizieller“ und „authentischer“ Kunst brauchen. Die Städtischen Kunstsammlungen in Chemnitz beispielsweise haben ihre Identität radikal gewechselt: In der neugeordneten Abteilung „Kunst nach 1945“ kommen ostdeutsche Künstler nicht mehr vor. Im Museum der Bildenden Künste Leipzig dagegen stellt sich „Kunst der DDR- Zeit“ als geschlossenes Kapitel dar. Die Stadt, die mit den Kampfbildern von Sitte, den Feldzügen von Tübke und den Geschichtsbefragungen von Heisig als prominenteste Malerschmiede der DDR bekannt wurde, musealisiert ihre nicht allzu ferne Vergangenheit.

Schon im Stadtbild begegnen dem Besucher Leipzigs die Anzeichen des Verlusts an Identität: Einschußlöcher an den Fassaden der Wohnhäuser, gewaltige Baugruben zwischen den alten Handelshöfen im innerstädtischen Ring und verfallende Fabriken aus der Zeit der Jahrhundertwende. Über fünf Jahrzehnte haben sich in den städtebaulichen Lücken die Zerstörungen des Krieges festgefressen, während andererseits der gezielte Wiederaufbau die historische Spuren hinwegfegte.

Von der Entfaltung bürgerlicher Macht und Selbstbewußtseins im 19. Jahrhundert zeugt noch die Sammlung des Museums der Bildenden Künste, das 1848 von einem Kunstverein und der Stadt Leipzig eröffnet wurde. Kaufleute, Seidenfabrikanten und die wohlhabenden Erbauer der Eisenbahn von Leipzig nach Dresden legten mit ihren Stiftungen den Grundstein für eine Sammlung, die von der holländischen und altdeutscher Malerei bis in die Romantik reicht und noch heute das kunsthistorisch glänzende Herzstück des Museums bildet. Am Ende des 19. Jahrhunderts markiert ein großes Ensemble von Skulpturen und Gemälden von Max Klinger einen Höhepunkt der bürgerlichen Sammlung. Eine nicht mehr zu schließende Lücke hinterließ die Säuberungskampagne „Entartete Kunst“ 1937, bei der das Museum seine Sammlung expressionistischer Malerei und Grafik einbüßte. Mit diesem Verlust begann die Produktion jenes Vakuums, das sich heute im neugeordneten Sammlungskapitel „Kunst der DDR-Zeit“ fortsetzt. Der ursprünglich weite Blick auf eine europäische Kunst verengte sich auf eine nationale Perspektive.

Herwig Guratzsch, Direktor des Museums seit April 1993, hat die Trauerarbeit der Nachkriegsmaler an den Anfang der Neuordnung gesetzt, die Ende Juni eröffnet wurde. Er holte Otto Griebels Selbstbildnis vor dem Hintergrund des brennenden Dresden aus dem Depot und Magnus Zellers melancholisch-wilden Garten, in dem sich Laub um ein gestürztes Denkmal rankt. Der den Bildern innewohnende Zweifel an der Vernunftfähigkeit des Menschen paßte schlecht zum verordneten Optimismus der Aufbaujahre der DDR. „Der Umgang mit der Kunst der DDR kann sich im Bewußtsein der Bürger nur neu konstituieren, wenn sie sichtbar ist“, erläutert Guratzsch sein Konzept einer behutsamen Uminterpretation des Bestandes von 750 Bildern, die das Museum großenteils durch Zuteilungen des Rates des Bezirks und der Stadt Leipzig erhielt. Er hält nichts von einer „künstlichen Verschwisterung oder antagonistischen Stilisierung“ im Vergleich mit der Westkunst, wie sie in der Berliner Nationalgalerie versucht wurde – nicht nur weil deren Werke der Sammlung fehlen. „Das Vakuum gehört dazu“, lautet sein Bekenntnis. Nichts habe die Leipziger Sammlung mehr geprägt als die Isolation von der internationalen Kunst.

Liebling der westlichen Medien ist die „Jugenddemonstration II“, 1951 von Hans Grundig gemalt. Warum er hier eine so billige Agitationskunst hervorgeholt habe, wurde Guratzsch gefragt. Für ihn dokumentiert das Bild mit den „Blauhemden und den Fahnen der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ dagegen die ehrliche Hoffnung des Malers auf eine neue Form des Lebens. Auf die Möglichkeit einer Differenzierung zwischen Propaganda und authentischem Ausdruck des Vertrauens in einen historischen Neubeginn kommt es ihm an.

Billige Agitkunst als Liebling der Medien

Daß selbst die gefeierten Künstler der DDR das Publikum mit versteckter Kritik und Widerspruch belieferten, gehört zu den lang propagierten Argumenten ihrer Verteidigung, auf die auch die Leipziger Ausstellung nicht verzichtet. Den Weg in die Zweideutigkeit demonstriert verblüffenderweise ein Bild von Wolfgang Mattheuer. In „Hinter den sieben Bergen“ (1973) wird die DDR zur Spielzeuglandschaft aus dem Baukasten mit kleinen Gruppen qualmender Schornsteine, Plattenbauriegeln, einem Dörfchen und einer niedlichen Müllkippe an der Straße, die das Land schnurgerade zerschneidet. In dieser Kulisse sozialistischer Planung schwebt, von Luftballons getragen, eine Fortuna über den Hügeln, die das Glück in den Bereich ferner Märchen verweist.

Mit Mattheuer, Tübke, Heisig und Sitte verfügt die Sammlung über die Heroen der Leipziger Schule. In ihrem Zentrum Hartwig Ebersbachs expressive Reihe „Kaspar – Abwicklung eines Portraits“ zu präsentieren gehört zu den Akzentverschiebungen der Neuordnung. Zwar in den 80er Jahren angekauft, durfte er wegen der Verweigerung der angestammten Heldenrollen, denen die Kunst sich widmete, lange nicht ausgestellt werden. Mit dem Kaspar rückte der Maler in die klassische Position des Außenseiters, der sich mit seinen aggressiven und emotionsgeladenen Pinselhieben eine autonome Welt schafft.

Guratzsch hofft auf das Vertrauen der Leipziger Besucher, wenn er am realistischen Menschenbild festhält. Der Sammlungstradition entsprechend, bleiben von der Gegenständlichkeit abgelöste Zeugnisse sparsam. „Großmäulig irgendwas hinzupflanzen und einen Kahlschlag nach dem anderen zu betreiben hat keinen Zweck“, sagt Guratzsch, der nichts mehr fürchtet, als das „abermalige Gefühl einer Amputation“ beim Besucher auszulösen.

Das Museum wieder in der historisch begründeten Identität der Leipziger zu verankern scheint dringend notwendig. 1952 zog die Sammlung, deren eigenes Haus im Stadtzentrum im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war, in das Gebäude des ehemaligen Reichsgerichts und muß sich seitdem gegen Amtsstubenmief behaupten. Der Bildersammlung wurde der Name des ebenfalls dort eingerichteten Georgi Dimitri Museums übergestülpt. Wenn das Bundesverwaltungsgericht wie geplant in das Leipziger Gebäude zurückkehrt, steht für die historische Sammlung der Bau einer neuen Behausung an, der nur mit großer Unterstützung von Stadt, Land und Bund realisiert werden kann. Schon deshalb muß die historische Beziehung zwischen Museum und Stadt revitalisiert werden. Zur Zeit wird nach einem Standort gesucht, der nicht schon in der Baugrube die potentiellen Mittel verschlingt.

Weit entfernt scheint die „Kunst der DDR-Zeit“ nicht nur von der Kunst der Gegenwart, sondern auch von der jungen Leipziger Kunstszene, wie sie die nur wenige Ecken entfernte Galerie „Eigen + Art“ repräsentiert. Dabei hat das Museum nach 1989 Werke der dort vertretenen Künstler Jörg Herold und Kaeseberg angekauft. Beide gehören zur Generation der nach 1960 geborenen Künstler, die sich nicht mehr an dem Konflikt Realismus versus Subjektivismus abarbeiten. Kaeseberg steigert in seinen Skulpturen die Dingwelt der Maschinen und Werkzeuge, als gelte es, die Überzeugung von den Gestaltungsmöglichkeiten des Lebens ein für allemal ins Reich der theatralischen Gesten zu weisen. Die Objekte von Jörg Herold, die im Stadtraum und bei Aktionen nicht selten funktional als Material zum Einsatz kommen, scheinen sich über die Kunst als Bedeutungsträger überhaupt zu mokieren. Für ihre Einbeziehung fehlt Guratzsch der Kontext in einer Sammlung, die den Faden der Entwicklung zwar von leisen Untertönen bis zu heftigen Nebengeräuschen abspulen läßt, aber den Botschaftscharakter von Kunst nicht in Frage stellen will. Den „Eigen + Art“-Galeristen Gerd Harry Lybke stört diese museale Distanz zur lebendigen Kunst wenig, sieht er im Museum doch eh den Ort der „toten Künstler“.

Die Konflikte der Leipziger Gegenwart finden derweil in Ausstellungskonzepten Eingang, in denen die morsch und brüchig gewordene Substanz der Stadt selbst zum Hauptdarsteller wird. Tausende von Quadratmetern bespielen zur Zeit die Installationen des „Imaginären Hotels“, das sich in den Fabrikhallen des ehemaligen „VEB Buntgarnwerke“ eingenistet hat. Ebenfalls für dieses Jahr ist das Projekt „Leerstand“ geplant, das die Künstler zu einer Reaktion auf die Situation der Stadt, in der 25.000 Wohnungen leer stehen und verfallen, auffordert. Initiator ist der 1990 gegründete Förderkreis für eine „Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst“.

Die Kunst soll weiterhin Botschaften vermitteln

Der Förderkreis, der „klein, effektiv, offen und beweglich“ agieren will, wie der Kunsthistoriker Klaus Werner beschreibt, hat einen mäzenatischen Rückhalt im Kulturkreis des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Langfristig möchte er eine eigene Sammlung zeitgenössischer Kunst aufbauen; zur Zeit nähern sich die Verhandlungen mit dem Land Sachsen über den Kauf einer Villa, an die nach einer für 1995 geplanten Sanierung später ein moderner Flügel angebaut werden soll, dem Abschluß. 50 Prozent des veranschlagten Investitionsvolumens von 40 Millionen Mark will der Förderkreis privat aufbringen, und er hofft, daß die Stadt Leipzig und der Freistaat Sachsen die andere Hälfte beisteuern. Bei der Bewerbung um die Mittel könnte es zu einer Konkurrenz zwischen dem Projekt der Galerie und dem Neubau für das Museum kommen.

Nur einmal klopft Herwig Guratzsch, der mir sein Anliegen des langsamen Wandels der Sehgewohnheiten im sanften Flüsterton erläutert, mit der Hand erregt auf den Tisch: Es geht um seine Enttäuschung über die mangelnde Rezeption einer Sonderausstellung zu Ernst Wilhelm Nay. „Da hatte ich große Hoffnung, daß die Bürger hier den Anfang der abstrakten Kunst nachvollziehen könnten. Zu zeigen, wie Nay erst halb gegenständlich malte und an der Wirklichkeit des Sichtbaren klebte, wie er sich dann davon löste und zu einer sprühenden Farbigkeit entfaltete, das erschien mir ohne Risiko und als große Hilfe, mit moderner Kunst warm zu werden. Für Westdeutsche ist das ja der älteste Hut, den es gibt. Aber das ist dem Publikum hier zu abstrakt, zu weit weg.“ Zuspruch fand dagegen eine Ausstellung über den Nazarener Julius Schnorr von Carolsfeld, vor 200 Jahren in Leipzig geboren. „Das erscheint mir typisch für Leipzig, Stolz auf die Vergangenheit zu entwickeln, zu erkennen, das ist jemand von uns.“ Und so bleibt die Kunstgeschichte das größte Kapital des Museums.

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