: Wird ein Großer geboren ...
Ernst Blochs „Zwerchfell-Philosoph“ wird porträtiert in düsteren Farben und Plaste und Elaste: Roger Christians „Nostradamus“ läßt schließlich ein Starship auf die Erde niedergehen ■ Von Colin Goldner
„Ein Kanzler, dick wie ein Ochse“ werde dereinst herrschen über Deutschland (XI/25). Mit derlei frappierender Akkuratesse hat Michel de Notredame, Magier und Prophet, schon vor über 400 Jahren die über die Menschheit hereinbrechenden Katastrophen vorhergesehen. Bis zum Ende des 4. Jahrtausends reichen seine düsteren Prophezeiungen.
In insgesamt zwölf auf altfranzösisch abgefaßten Büchern läßt Nostradamus, so sein nach damaliger Usance latinisierter Name, sich über das Fatum kommender Gezeiten aus. Von „Hunger, Pest, Krieg, mühevollem Darben“ (II/19) ist da durchgängig die Rede, von „so großer Seuche, daß von drei Teilen der Welt mehr als zwei dahinsiechen“ (Vorrede an König Henry II). Zu derlei Horror- Visionen bedurfte es freilich keiner besonderen Sehergabe, sie waren schlicht die Widerspiegelung der elenden Verhältnisse im Frankreich des 16. Jahrhunderts. Zudem war in dieser von epidemischen Krankheiten, von ständigen kriegerischen Wirren und nicht zuletzt vom Wüten der katholischen Inquisition bis an den Rand des Wahnsinns und darüber hinaus verängstigten Epoche das Metier der Hellseherei eine weitverbreitete Einkommensquelle. Selbst aufgeklärte Zeitgenossen wie der Arzt und Schriftsteller Rabelais (1494-1553) oder der Astronom Johannes Kepler (1571-1630) verdienten sich mit Sterndeutung und Wahrsagerei ein Zubrot.
Nostradamus war bereits als Kind von seinem Großvater in verschiedene Geheimwissenschaften, allen voran Astrologie und kabbalistische Zahlenmystik, eingewiesen worden; daneben beherrschte er die Kunst des Wünschelrutengehens. Als seine Praxis als Arzt im südfranzösischen Salon nicht mehr so lief wie erhofft, besann er sich seiner Kenntnisse des Okkulten. Im Obergeschoß seines Hauses richtete er sich eine Wahrsage- Werkstatt ein und agierte hinfort als Sterndeuter und Prophet. Glaubt man den zahllosen Interpreten seiner „Centurien“, geben diese, im Gegensatz zu anderen Orakeln, nicht nur vage Hinweise, sondern sehr konkreten Aufschluß über dräuendes Ungemach. Seinen Durchbruch als Hellseher erlebte Nostradamus im Jahre 1559, als sich eine seiner Vorhersagen – der Tod des französischen Königs Henry II – scheinbar en detail erfüllte. In einem seiner Vierzeiler hatte er ein paar Jahre zuvor aufgeschrieben: „Der junge Löwe wird den alten überwinden / auf kriegerischem Feld durch Einzel-Zweikampf / In Goldenem Käfig wird er ihm die Augen ausstechen / Von zwei Brüchen der erste, daran sterben eines grausigen Todes“ (I/35). Am 1. Juli 1559 war es soweit: Während eines Banketts bei Hofe forderte Henry II. den Grafen Montgomery zu einem freundschaftlichen Turnierkampf heraus. Beim Aufprallen auf Henrys Panzer brach Montgomerys Lanze ab und drang durch dessen vergoldetes Helmvisier (den „Käfig“) in sein Auge. Nach zehn Tagen größter Qual starb der König. Die Sensation der „detaillierten Prophetie“ des Unglücks verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch ganz Frankreich, Nostradamus war ein gemachter Mann. Seine Prophezeiungen – samt einer Unzahl an Interpretationen – wurden zu einem der größten und dauerhaftesten Bestseller seit Erfindung des Buchdrucks. Die Frage, was denn bei seiner Vorhersage des Todes Henry II. mit dem „jungen und dem alten Löwen“ gemeint war – beide Turnier-Kombattanten waren etwa 40 Jahre alt – stellte niemand.
Ach ja: am letzten Wochenende ist in bundesdeutschen Lichtspielhäusern eine Zelluloid-Exegese nostradamischer Weissagungen angelaufen. Unter der Regie von Star-Wars-Requisiteur Roger Christians wird aus Jean-Jacques Annauds „Der Name der Rose“ abgekupfert. Selbst der jesuitische Großinquisitor F. Murray Abraham kommt vor, diesmal allerdings auf der Gegenseite, in Gestalt des alchimistischen Lehrmeisters Dr. Salinger. Nostradamus wird verkörpert von einem gewissen Tcheky Karyo, der vergeblich versucht, mit rotgeränderten Augen das Wirken diabolischer Kräfte vorzutäuschen. Auch die mangels erkennbarer Handlung eingestreuten derb-barocken Fickszenen verleihen Nostradamus nicht direkt den Hauch visionärer Größe. Man glaubt in jeder Einstellung, das Knarzen der Pappmaché- und Styroporblöcke zu hören, die die Mauern diverser Geheimverliese darstellen sollen. Selbst die Pestbeulen am Hals dahinscheidender Nebenakteure riechen nach Plaste & Elaste.
Vom Inhalt der okkulten Schriften und Bücher, in die Nostradamus von Salinger eingewiesen wird, erfährt man nichts – deshalb werden auch New-Ageler und Esoteriker nicht auf ihre Kosten kommen. Die deutsch-englische Produktion liefert mehr so eine Art Geschichtsbild des „fait accompli“ und die Einebnung der verschiedenen Ereignisse unter das Telos der erlösenden Endkatastrophe, aus der Perspektive des endlich bitter ernst genommenen Intellektuellen. Nostradamus hockt in einem Turmkabuff und stiert fiebernd in einen Blechnapf. Auf dessen Boden sieht er die Schrecken des 20. Jahrhunderts herandräuen. Hitler vor einer Rotte marschierender SA, das Attentat auf John F. Kennedy, Saddam Hussein samt brennender Ölfelder. Erich H. kommt nicht vor, dafür ein Vorgeschmack auf das, was uns noch alles erwartet. In einer apokalyptischen Schlußvision wummert ein gigantisches Raumschiff Richtung Erde und eine düstere Stimme mahnt aus dem Off, Nostradamus' Warnungen nun endlich ernst zu nehmen.
Über 400 Exegeten, teils durchaus mit hochwissenschaftlichem Anspruch, haben sich bis heute darum bemüht, die apokryphen Verse zu enträtseln. Aus folgendem Vierzeiler wird die Geburt Adolf Hitlers im österreichischen Braunau herausgelesen: „In der Nähe des Rheins der norejischen Berge / Wird ein Großer geboren aus dem Volk, das zu spät gekommen ist; / Er wird Sarmatien und Pannonien verteidigen, / So daß man nicht wissen wird, wie er schließlich endet“ (III/58). Besonders die Ereignisse des 20. Jahrhunderts sind exakt aufgelistet: 1936 spaltet Franco das spanische Volk, 1938 Einmarsch Hitlers in Österreich, 1939 Beginn des Zweiten Weltkrieges, 1941 Bau von Krematorien in den KZs. Der Luftkrieg über Berlin im April 1945 liest sich so: „Die Waffen am Himmel schlagen lange Zeit, / Der Wald inmitten der Stadt stürzt zusammen: / Tödliche Krämpfe, Gewissensbisse, das Schwert, die Fackel fliegt ihr ins Gesicht, / Wenn die Alleinherrschaft des Madrie zusammenbricht“ (III/11). Derselbe Vierzeiler dient bei einem anderen Interpreten als eindeutige Vorankündigung des Bombenabwurfs auf Hiroshima. Wenn in einem Vers von „Stechmücken auf dem Schlachtfeld“ (V/85) die Rede ist, wird das frei mit „Düsenbombern“ übersetzt, mit denen die Sowjetunion in einem Blitzkrieg Deutschland überfallen wird; nach astrologischer Berechnung nostradamischer Angaben im Sommer des Jahres 1987.
„Nostradamus“, Regie: Roger Christian. Mit: Tcheky Karyo, F. Murray Abraham, Julia Ormond, u.v.a. GB/ BRD, 119 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen