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Die gewerbliche Alternative zum Jackpot

■ Das Wettbewerbsrecht, eine sprudelnde Geldquelle für „Abmahnvereine“

Berlin (taz) – Gutes tun und Geld damit machen – das Wettbewerbsrecht macht's möglich. Über 20 Gesetze und Verordnungen regulieren das deutsche Werbewesen. Und sie lassen für sogenannte Abmahnvereine jeden Kleinanzeigenteil einer Zeitung zur Goldgrube werden.

Zum Beispiel für die „Vereinigung zum Schutz des Wettbewerbs e.V.“ (VzSW) in Berlin: Ihre Ziele sind hochherzig, die irdische Behausung schäbig. Ein paar Stockwerke tiefer residiert ein Bordell, im Nachbarhaus hat sich der Pornoschuppen „Babalu“ eingemietet. „Dieses Milieu ist dem Verein nicht zuträglich“, findet auch der VzSW-Vorstandsvorsitzende Ralf Jacobeit. Einen anderen Schönheitsfehler läßt er unerwähnt. Laut Auskunft des Wohnungsamtes vom April 93 hat der Verein die Räume in der Lietzenburger Straße zweckentfremdet.

„Zweck der Vereinigung ist es, wettbewerbswidrige Werbung aufzuspüren und zu bekämpfen. Daneben sollen die Belange von Unternehmern und freiberuflich Tätigen auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet gefördert werden“, so die Selbstdarstellung des Vereins. Noch zwei Mitarbeiter und ein Rechtsanwalt sind neben dem Vorsitzenden zum Pressegespräch erschienen. Erst nach einigem Zureden ist dieser bereit, seinen Namen zu Protokoll zu geben. „Drohungen, auch Morddrohungen“ seien schon eingegangen.

Wer den Kampf gegen Wettbewerbssünder trotzdem aufnimmt, hat erst einmal ein Instrument zur Verfügung: die Abmahnung. So hat die Vereinigung eine Immobilienfirma aus dem hessischen Usingen abgemahnt, die „vier Reihenhäuser ... 50% Sonder-Afa auf die Herstellungskosten“ inseriert hatte. „Hierbei werben Sie mit dem Hinweis auf Sonderabschreibungen, ohne darauf hinzuweisen, daß diese nicht bei Nutzung zu eigenen Wohnzwecken in Anspruch genommen werden können“, monieren die Berliner. Ein zweites Beispiel: Eine Münchener Firma hatte eine „3-Z.-Whg ... 540.800,- ... + Do.gge“ inseriert. Darauf die Vereinigung: „Hierbei nennen Sie einen Festpreis, der sich um die Kosten der Garage beziehungsweise des Einstellplatzes erhöht.“ Damit verstoße die Firma gegen die Preisangabenverordnung.

90 Mark zuzüglich Mehrwertsteuer kassiert die VzSW zur Zeit für eine solche schriftliche Rüge von den Inserenten. Die verschicken nach eigenen Angaben bis zu 2.500 jährlich. Im Schnitt liegen die Abmahngebühren der Vereine zwischen 180 und 250 Mark, so ein Sprecher des Bundesjustizministeriums. Zusätzlich müssen sich die Werbenden in einer Unterlassungserklärung verpflichten, den abgemahnten Verstoß nicht zu wiederholen. Andernfalls wird eine Vertragsstrafe von mehreren tausend Mark fällig.

Reagiert der Werbesünder nicht auf die Abmahnung, können die Gebührenvereine vor Gericht ziehen. Und das, betont Marcel Kisseler, Präsidiumsmitglied der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, sei die eigentliche Geldquelle der Vereine. „Ein Gebührenverein kann nur erfolgreich sein, wenn er mit einer unseriösen Anwaltskanzlei zusammenarbeitet“, glaubt Kisseler, „die führt Prozesse nach dem immer gleichen Strickmuster und gewinnt infolgedessen fast immer. Da sind Hunderttausende drin, wenn nicht Millionen.“ Voraussetzung sei, daß die Anwälte die Kosten verlorener Verfahren selbst tragen – ein Verstoß gegen das Standesrecht, der sich auszahlt.

Daß es sich vom Kampf um den fairen Wettbewerb leben läßt, beweist auch die Bilanz der Berliner Vereinigung. Laut einer Gewinn- und-Verlust-Rechnung für 1992 ließen sich bei Einnahmen von rund 54.000 Mark an Mitgliedsbeiträgen und Spenden allein 190.000 Mark durch Abmahnungen und etwa 1,5 Millionen Mark aus Vertragsstrafen verdienen. Hinzu kommen die Honorare für die beiden Leib-und-Magen-Anwälte des Vereins.

Für Rudolf Koch, Bundesrechtsreferent beim Verband Deutscher Makler (VDM), sind diese Zahlen ein Indiz dafür, daß die Berliner Vereinigung ausschließlich von der Verfolgung der Wettbewerbsverstöße lebt. „Die VzSW ist der typische unseriöse Gebührenverein“, beklagt auch Gerhard August, Vorsitzender der Düsseldorfer Arbeitsgemeinschaft Wettbewerb für den selbständigen gewerblichen Mittelstand. Koch möchte erreichen, daß den Berlinern die Klagebefugnis, die sogenannte Aktivlegitimation, aberkannt wird. Diese hat jedoch das Berliner Kammergericht und der Bundesgerichtshof bisher immer bestätigt.

Das könnte sich jetzt ändern. Seit Anfang August gilt ein reformiertes Wettbewerbsrecht, das den Gebührenvereinen die Grundlage entziehen soll. Voraussetzung für eine Abmahnung ist jetzt die „wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs“. Das entlastet vor allem die Immobilien-, Fahrzeug- und Computerbranche, die oft für Bagatell- Verstöße zahlen mußten. Wurde ein Auto etwa mit „PS“ statt „KW“ angepriesen oder ein Monitor in Zoll statt Zentimetern vermessen, konnten Abmahnvereine bereits zur Kasse bitten.

Außerdem müssen die Vereinsmitglieder künftig in „erheblicher Zahl“ auf demselben Markt und in derselben Branche tätig sein wie die Abgemahnten. Für die Berliner Vereinigung heißt das, sie muß eine „erhebliche“ Anzahl von Immobilienmaklern in den eigenen Reihen aufweisen. Im Oktober 93 waren laut einer anonymisierten Mitgliederliste aber nur 15 von 49 Mitgliedern aus dieser Branche.

Vor allem ist aber der „fliegende Gerichtsstand“ abgeschafft, der es etwa den Berlinern erlaubte, Verstöße aus Oberbayern vor dem Berliner Kammergericht einzuklagen. Angesichts der neuen Rechtslage gibt der VzSW-Vorstandsvorsitzende Jacobeit sich zögerlich: „Wir warten erst mal einige Grundsatzurteile ab.“ Und der Rechtsanwalt der Vereinigung, Jörg Christmann, schäumt: „Daß dieser Schmutz tatsächlich zum Gesetz geworden ist, damit hat keiner gerechnet.“

Jedoch auch Rudolf Koch, erklärter VzSW-Gegner, erhofft sich von der Novelle nicht allzuviel Gutes. Er verweist auf einen Fall, in dem ein Verein zwar die Klageberechtigung verloren hat, aber weiterhin munter Vertragsstrafen aus zuvor angehäuften Unterlassungserklärungen kassiert. „Und davon müßte auch die Vereinigung einige zehntausend archiviert haben“, fürchtet er. Silvia Schütt

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