■ Das Portrait: Galina Starowojtowa
Seit die russischen Massenmedien gegen den Zwergstaat Tschetschenien zu Felde ziehen, hat Galina Starowojtowa, 47, wieder ihre Stimme erhoben: gegen Einmischung Moskaus im Nordkaukasus. Das Argument, fast die ganze Mafia in Rußland rekrutiere sich aus Tschetschenen, zieht bei ihr nicht: „Verbrecher haben keine Nationalität“, verkündet sie. „Die Starowojtowa“ muß es wissen. Ihr Engagement als Ethnologin ließ sie schon als Doktorandin gegen den Strom schwimmen. Mit Söhnchen Platon im Rucksack erforschte sie die nationalen Minderheiten des Kaukasus, erlebte die Diskriminierung der ArmenierInnen in Nagorny Karabach.
In Armenien war es, wo sie 1989 bei den ersten halbwegs freien Wahlen zum Obersten Sowjet der UdSSR kandidierte und haushoch siegte – trotzt Drohungen des KGB. Gleichzeitig schleuste die KPdSU als „Verbands-Repräsentantinnen“ Dutzende von Quotenfrauen ins Parlament. Galina hielt daraufhin ironische Reden gegen Frauen-Quoten. Heute, nach langer Parlamentarierinnen- Praxis, bereut sie das bitter.
Schon Ende 1991 versuchte sie, einen Einmarsch Moskaus in Tschetschenien zu verhindern. Mit Erfolg, denn bei der Regierung Gaidar war sie Beauftragte für Nationalitätenfragen. Daß es in der bunt zusammengewürfelten Russischen Föderation kaum Blutvergießen aufgrund ethnischer Differenzen gegeben hat, ist nicht zuletzt ihr Verdienst. „Oft sind Russische Ethnologin und ehemalige Beauftragte für NationalitätenfragenFoto: Wladimir Suworow
solche Konflikte gar nicht zu lösen“, sagt sie: „Da ist die große Kunst gefragt, sie auf kleiner Flamme zu halten.“
Ihre offizielle Vermittlerinnenrolle fiel Ende 1992 Hofintrigen zum Opfer. Präsident Jelzin entließ die Expertin ohne Begründung und kann ihr seither bei offiziellen Empfängen nicht mehr in die Augen blicken. Dann, letzten Winter, nach Scheidung und einer schweren Operation, zog sie nach Washington D.C. und schrieb auf Einladung des dortigen „Friedensinstitutes“ ein Buch über die Nationen der Russischen Föderation. Dort sei sie als Privatfrau wieder zu sich gekommen, ließ sie bei ihrer Rückkehr nach Moskau durchblicken: „Ich hatte es satt, mich ständig zwischen Liebe und Haß der Leute bewegen zu müssen, nirgendwo mehr anonym sein zu können.“
Heute steht sie wieder auf der Moskauer politischen Bühne. Ohne Amt? Schon Galina Starowojtowa zu sein ist hier ein Amt. Barbara Kerneck
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