■ Ostharzgemeinde Schierke will Winterspiele im Jahr 2006:
: „Ganz bestimmt keine Schnapsidee“

Schierke (taz) – Nach Sorge und Elend kommt Schierke. Der Witz stammt noch aus DDR-Zeiten und nimmt die Abgeschiedenheit der drei kleinen Harzgemeinden jenseits der ehemaligen Grenze aufs Korn. Allenfalls Schierke, ein Dorf mit knapp elfhundert Seelen, hat es durch einen hier produzierten Kräuterlikör, den „Schierker Feuerstein“, zu regionaler Bekanntheit gebracht. Mit der ausschließlichen Identifizierung über Alkohol soll es jetzt aber ein Ende haben. Der Ort will die Olympischen Winterspiele im Jahr 2006 ausrichten.

Für Bürgermeister Lothar Thiele sind die Olmypiapläne „jedenfalls keine Schnapsidee“. „Wir haben Berge, wir haben Sportler“, sagt der parteilose Gemeindevorsteher. „Warum sollen wir nicht versuchen, die Spiele nach Schierke zu holen?“ Schließlich habe der Ort schon früher sportliche Großveranstaltungen organisiert – in den fünfziger und sechziger Jahren fanden in Schierke mehrfach nationale Olympiaausscheidungen von DDR-Skilangläufern und Spartakiaden statt.

Von 560 bis über 800 Meter windet sich das Dorf die Hänge hinauf. Auch der höchste Harzgipfel, der Brocken, zählt zum Gemeindegebiet. „Schnee haben wir im Winter satt“, so Kurdirektor Ganske, der gleichzeitig dem sachsen-anhaltinischen Skiverband vorsteht. Und Schnee sei nun einmal die Voraussetzung für das geplante Sportspektakel. Die nordischen Disziplinen könnten „ohne Probleme“ in Schierke stattfinden. Ebenso Eiskunstlauf und Eishockey. „Wir haben“, sagt Ganske, „hier ja ein Eisstadion.“ Das existiert allerdings nur noch in den Erinnerungen der älteren Einwohner.

Eine olympiataugliche Infrastruktur ist für Bürgermeister Thiele „nicht das Problem“. Alles Nötige sei in den verangenen vier Jahren verlegt worden. So verfüge Schierke über das modernste Telefonnetz in Sachsen-Anhalt, „alles digital“. Auch neue Wasser-, Abwasser- und Erdgasleitungen sowie Stromkabel befänden sich „schon in der Erde“. Einen Strich durch die Rechnung könnten den Olympiastrategen noch die Umweltschützer machen. Just die Brocken-Hänge mit den attraktivsten Loipen gehören seit Jahresanfang zum neuen Naturpark Harz, dem Ausbau der Wintersportmöglichkeiten in der Region sind damit Grenzen gezogen. Für Lothar Thiele ist der Konflikt zwischen Ökologie und Massensport allerdings lösbar. „Es ist klar, daß wir hier Kompromisse machen müssen. Es geht nicht nur das eine, und es geht nicht nur das andere.“ Sanfte Spiele wie in Lillehammer würden die Umwelt kaum beeinträchtigen, „sondern dem naturorientierten Fremdenverkehr, von dem wir alle hier leben, einen neuen Aufschwung bringen“.

In der Kommune schreiten die Olympiaplanungen scheinbar unaufhaltsam voran. Der Gemeinderat, in dem die PDS und Bündnis 90/Grüne nichts zu melden haben, zieht mit. Und auch die Einwohner Schierkes „sind für Olympia Feuer und Flamme“, weiß der Bürgermeister. Und wirklich: in vielen Schaufenstern des Ortes prangen bereits Aufkleber mit der Aufschrift „Winterolympiade 2006 in Schierke“. Kurdirekter Ganske putzt denn auch schon eifrig Klinken bei den Sportverbänden. „Die bisherigen Meinungen reichen von Staunen bis Belächeln, sind aber immer mit Schulterklopfen verbunden.“

Wann Schierke die offizielle Bewerbung beim Nationalen Olympischen Komitee (NOK) einreichen wird, steht noch nicht fest. Und selbst wenn der Schierker Antrag abgelehnt wird, könnte die Harzgemeinde einen schönen Propagandaerfolg verbuchen. Zumindest in der Region wäre Schierke dann in aller Munde – auch ohne Kräuterschnaps. Reimar Paul