■ Pakistan und das Versteckspiel um seine Atombombe: Merkwürdige Ruhe
Wenn es darum geht, der Rivalin eins auszuwischen, kennt Pakistans Oppositionsführer Nawaz Sharif keine Hemmungen. Mit geradezu inbrünstiger Verbissenheit bekämpft er Premierministerin Benazir Bhutto, wo er kann. Der Stachel, die Erinnerung an das unrühmliche Ende seiner eigenen Amtszeit als Regierungschef, sitzt tief: Wegen Unfähigkeit und Korruption war er abgesetzt worden. Und Benazir Bhutto – die zuvor auf gleiche Weise ihre Macht verloren hatte – applaudierte, besiegte ihn bei der nächsten Wahl und wurde zum zweiten Mal Ministerpräsidentin des Landes. Seitdem sind beide in einem Zweikampf gefangen, der die pakistanische Politik zur Arena für die unentwegte, persönliche Fehde der beiden Kontrahenten degenerieren ließ.
Als Sharif jetzt bei einer Kundgebung im von Pakistan kontrollierten Teil Kaschmirs bekannte, daß sein Land die Atombombe besitzt, hat er genau das Manöver wiederholt, das Benazir Bhutto zu der Zeit, als sie selbst Oppositionspolitikerin war, vorexerziert hatte. Damals hatte Frau Bhutto ihrerseits vom Pakistanischen Atomprogramm gesprochen und war von der Regierung Sharif scharf zurechtgewiesen worden. Alle bisherigen Regierungen haben stets behauptet, daß Pakistan zwar die Fähigkeit zum Bau von Nuklearwaffen habe, die Bombe selbst aber nie produziert hat. Aber so recht glaubt niemand daran, vor allem nachdem der ehemalige Armeechef General Beg im vergangenen Jahr in einem Zeitungsinterview erklärt hat, Pakistan habe seinen ersten erfolgreichen Atomtest bereits 1987 absolviert.
Dieses Nuklearwaffen-Versteckspiel, das keines ist, kommt das Land teuer zu stehen. Seit 1990 haben die USA alle Wirtschafts- und Militärhilfe eingestellt, weil sich Pakistan weigerte, seine Atomanlagen kontrollieren zu lassen. Plötzlich waren über 800 Millionen Dollar weniger in der Staatskasse. Solange aber Indien über ein eigenes Atomwaffenprogramm verfügt und sich weder von den USA noch sonstwem dazu überreden läßt, dem Sperrvertrag beizutreten, wird sich auch an der Haltung Pakistans nichts ändern. Alle Versuche, die beiden sich so wenig geneigten Nachbarländer an den Verhandlungstisch zu bringen, sind bisher brüsk zurückgewiesen worden.
Die Drohung mit der Bombe und die düstere Warnung vor einer Eskalation des Streits um die zwischen Pakistan und Indien aufgeteilte Region Kaschmir sind ein neuer Versuch Sharifs, bei der extremen Rechten des Landes Punkte zu sammeln. Denn er weiß, daß er nur eine Chance hat, Benazir Bhutto die Macht abzujagen, wenn er die nationalistischen und islamistischen Kräfte des Landes hinter sich versammelt. Angesichts des desolaten Zustands der Machtelite haben jene Gruppen in Politik und Militär Zulauf, die eine schärfere Konfrontation mit Indien und den USA fordern und jeden Versuch der Regierung, schon aus wirtschaftlichen Gründen die Beziehungen zu Washington zu verbessern, zunichte machen wollen.
Natürlich ist Pakistan bei weitem nicht so unberechenbar wie Nordkorea. Aber selbst als Waffe der Innenpolitik ist die Atombombe gefährlich. Es gibt überhaupt keinen Grund, sie mit jener merkwürdigen Gelassenheit zur Kenntnis zu nehmen, die hierzulande trotz Nawaz Sharifs Verlautbarung herrscht. Jutta Lietsch
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