: Wenn Kies zu Geld wird
Ökologen beiderseits der Grenze kämpfen gegen den Druck der Industrielobbies für den deutsch-polnischen Oder-Nationalpark ■ Aus Stettin Klaus Bachmann
Beiderseits der Autobahn, die von Berlin zum Grenzübergang Pomellen und nach Stettin führt, erstrecken sich grüne, blühende Auen, durchzogen von Seitenarmen der Oder. „Wenn du mit dem Boot durchruderst, verstehst du wegen des Geschreis der Vögel dein eigenes Wort nicht mehr“, sagt Bogdan Twardochleb aus Stettin, ein Kenner der Oderauen. Neben zahlreichen seltenen Pflanzenarten haben Ökologen beiderseits der Oder 235 verschiedene Vogelarten, darunter den vom Aussterben bedrohten Seggenrohrsänger und zwei Seeadlerpaare, Fischotter, Biber und 36 verschiedene Fischarten gezählt. Wojciech Zyska, Umweltbeauftragter des Stettiner Woiwoden: „Der größte Fisch auf unserer Seite der unteren Oder war ein sechzig Kilogramm schwerer Wels.“
Das untere Odertal ist auf der Strecke zwischen Lunow und Gartz beiderseits des Flußlaufes geschützt. Später einmal soll daraus ein „Internationalpark“ werden, doch bis dahin kämpfen deutsche und polnische Ökologen gemeinsam gegen die wirtschaftlichen Interessen ihrer jeweiligen Wirtschaftslobbyisten, die sich besonders gegen allzu weit gehende Nutzungseinschränkungen wehren. Die Planungen für das gemeinsame grenzübergreifende Schutzgebiet begannen bereits vor zwei Jahren – die Oderauen sollten entsprechend den internationalen Kriterien für Nationalparks auf beiden Flußufern gleich geschützt werden. Da in Polen ein Nationalpark nur per Parlamentsbeschluß eingerichtet werden kann, ergriff dort der Stettiner Woiwode Marek Talasiewicz die Initiative und erklärte die polnische Seite der Auen zum „Landschaftsschutzgebiet“, mit Auflagen, die an Strenge denen eines Nationalparks entsprechen, wie sich polnische und deutsche Umweltschützer einig sind. Brandenburg stellte seinen Landschaftsteil bis 1995 vorläufig unter Schutz, doch das Gesetz, mit dem daraus ein Nationalpark werden sollte, wurde bis heute nicht vom brandenburgischen Landtag verabschiedet. In dieser Woche äußerten bei einer Anhörung des Landtags erneut Vertreter aus Industrie und Handwerk, Land- und Forstwirtschaft, Wissenschaft, Jagd und Sport zahlreiche Bedenken gegen das Projekt „Nationalpark Unteres Odertal“. Ansgar Vössing, Gründer der Nationalparkverwaltung auf deutscher Seite, ist der Ansicht, die brandenburgische Landesregierung habe den Entwurf des Umweltministers enorm verwässert: „Auf polnischer Seite sind Straßenbau und Kiesförderung verboten, auf deutscher Seite sollen sie durch das neue Nationalparkgründungsgesetz bedingt zugelassen werden.“ Das wiederum bringt die polnische Kieslobby gegen die polnischen Umweltschützer auf, denn im südlichen Teil des Schutzgebiets werden umfangreiche Kiesvorhaben vermutet, mit denen polnische Firmen sich gerne am Aufbau Ostdeutschlands beteiligen würden.
Kies ist für Polen Exportgut und Devisenbringer. Vössing: „Über 50 Prozent des polnischen Teils der Schutzfläche sind bereits heute endgültig als Totalreservate geschützt. Der Entwurf der brandenburgischen Landesregierung sieht dagegen lediglich vor, daß bis zum Jahre 2009 auf deutscher Seite 50 Prozent als Totalreservat ausgewiesen werden sollen, nicht müssen. Zum Wesen eines Nationalparks gehören aber Totalreservate.“ Auf deutscher Seite wären dann die Schutzkompetenzen auf mehrere Ämter verteilt, die Parkverwaltung nahezu machtlos.
Im Parkkuratorium und der dazugehörigen Stiftung wurde der Stadt Schwedt ein Sonderplatz eingeräumt, obwohl sie gar nicht im Nationalparkgebiet liegt und noch dazu gegen die Einrichtung des Parkes ist.
Polnische Politiker und Umweltschützer äußern sich zurückhaltend, obwohl der brandenburgische Wortbruch ihnen den Stand gegen die Stettiner Gegner des Schutzgebiets erschwert. Seit mehreren Jahren träumen Stettiner Lokalpolitiker und Abgeordnete von einem Nord-Süd-Kanal von Swinemünde bis Breslau und eventuell sogar noch weiter bis nach Mähren. In Kreisen der Stettiner Handelskammer galten die deutschen Nationalparkpläne lange Zeit sogar als Trick der Deutschen, Stettin am Ausbau der wirtschaftlichen Infrastruktur zu hindern und so den Transitverkehr zwischen Skandinavien und Südeuropa von Stettin nach Rostock umzulenken.
Wojciech Zyska: „Die Abgase der Petrochemie aus Schwedt gehen überwiegend auf unsere Wälder nieder, weil wir hier zu 70 Prozent Westwind haben.
Auch die Umgehungsstraße von Schwedt, die beim Grenzübergang zu Polen endet, führt mitten durch den geplanten Nationalpark. Aber wir glauben daran, daß unsere Kollegen in Brandenburg alles daran setzen, dort das Schutzniveau zu erhöhen.“ Die Kollegen in Brandenburg, das ist vor allem der „Verein der Freunde des Deutsch-Polnischen Europa-Nationalparks Unteres Odertal e.V.“, der inzwischen zur Selbsthilfe übergangen ist. Mit Mitteln und im Auftrag des Bonner Umweltministeriums ist er dabei, Flächen in den Kernzonen der Auen einfach aufzukaufen. Zehn Prozent hat er bereits innerhalb eines Jahres von privaten Eigentümern erworben.
Die Hälfte der Fläche im Kerngebiet wird freilich von der Treuhand verwaltet, die bisher, allen Absprachen zum Trotz, einen Verkauf dieser Flächen an den Verein durch hinhaltenden Widerstand boykottiert. Ansgar Vössing, inzwischen als Nationalparkchef wegen der geringen der Parkverwaltung zuerkannten Kompetenzen zurückgetreten und im Verein aktiv: „Obwohl das Bundesumweltministerium und das Bundesfinanzministerium auf höchster Ebene vereinbart haben, daß unser Verein die naturschutzrelevanten Kernflächen kaufen darf und soll, haben wir von der Treuhandanstalt bisher noch keinen Quadratmeter erhalten. Die Treuhand weigert sich, einen von ihr selbst vorbereiteten Kaufvertrag zu unterzeichnen.“
So ist an der unteren Oder eine eigentlich paradoxe Situation entstanden: Deutschland, bestens ausgestattet mit Haushaltsmitteln aus Brandenburg, Bonn und Brüssel, verwässert die Schutzbestimmungen für den „Internationalpark“ aus Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen.
Polen, finanziell weit weniger begütert, spielt den Vorreiter im Umweltschutz, obwohl dort die Umweltbewegung viel schwächer als in Deutschland ist. Doch die Bereitschaft der Politik, eher die ökologischen als die wirtschaftlichen Interessen der Region mit dem Gemeinwohl zu idendifizieren, ist ungleich größer.
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