piwik no script img

Doch kein Pilot

■ Heiratsschwindel: Ex-Knacki versuchte sich als großer Mann / 18 Monate Freiheitsstrafe Von Kaija Kutter

Wie immer hat die Tat des Angeklagten auch ein ergreifendes subjektives Moment. Als Holger G. im Frühjahr '93 aus dem Knast kam, habe er nicht gewußt wohin, sagte er dem Gericht. Er war wegen Betruges in Kiel zu neun Monaten verurteilt worden, saß sie ab und fuhr flugs fort zu betrügen.

Eine harmlose Art von Betrug. Er lernte die Hamburgerin Angelika M. über eine Kontaktanzeige kennen, flunkerte ihr vor, er sei Hubschrauberpilot. Er werde demnächst in Hamburg arbeiten und komme leider an sein von einem Freund verwaltetes Bankkonto in der Schweiz nicht heran. G. zog zu M., lebte von ihrem Geld. Die Liebe dauerte sechs Wochen, dann flog der Schwindel auf. Heute sitzt der 37jährige im Untersuchungsgefängnis, wegen der Rückfälligkeit warten noch zwei zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen auf ihn. Jedesmal Betrug.

Füllig, gar nicht mal so attraktiv, bärtig, saß er mit traurig herunterhängenden Schultern im Anklagestuhl, gestand die Tat, ersparte damit der Ex-Freundin den peinlichen Auftritt im Zeugenstand.

Eigentlich sei G. kein „klassischer Heiratsschwindler“, räumte Richter Albrecht Kob ein. Denn ein Heiratsversprechen hatte G. nicht gegeben. Nicht mehr üblich, im Zeitalter der Lebensabschnittspartnerschaften. Aber sonst ergaben sich aus der Kontaktanzeigenfreundschaft justizable Folgelügen. Weil er dem Sohn von Angelika M. zum Geburtstag ein Fahrrad schenken wollte, lieh er sich von ihr 1200 Mark, die er nicht hatte. „Kein eigennütziger Betrug“, wie der Verteidiger einräumte, der diesen Punkt gestrichen haben wollte.

Noch tragischer die dritte Anklage: Um die Legende des Hubschrauberpiloten aufrecht zu erhalten, bestellte Holger G. für 1300 Mark einen Pilotenhelm ins Haus und ließ ihn von Angelika M. bezahlen. Auch diesen Einsatz bekam die Geschädigte nicht zurück.

Das junge Glück machte sich auch in der Nachbarschaft bekannt, wo ein schniekes Einfamilienhaus zum Kauf bereit stand. Einmal in das Lügengebilde vom großen Mann verstrickt, kam der gelernte Sanitäter dort nicht mehr heraus. Ja, er wolle das Haus kaufen, sagte er dem Eigentümer-Ehepaar S., das mit der Zeugin M. schon vorher bekannt war. Beim Notar unterschrieb er einen Kaufvertrag in Höhe von 600.000 Mark. Als er die Summe schließlich nicht zahlte, fiel das Lügengebilde zusammen. Das Ehepaar S. wurde mißtrauisch und fragte am Flughafen Hartenholm nach, ob G. dort bekannt sei.

Der nunmehr wertlose Kaufvertrag brachte dem Hausbesitzerpaar viel „Streß und Ärger“ ein, wie Frau S. im Zeugenstand berichtete. Sie mußten doppelt Miete und Hypotheken zahlen und verkauften das Haus erst Monate später zu einem viel geringeren Preis.

Diese „Folgeschäden“ für die S.–s und die Rückfälligkeit waren ausschlaggebend für das harte Urteil. Zu 18 Monaten Freiheitsstrafe kommen alte Bewährungsstrafen. Wenn G. irgendwann freikommt, sollte er keine Kontaktanzeigen lesen.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen