: Der umzingelte Witz
■ Alice & Ellen Kessler in „Stepping Out“ in der Komödie Winterhuder Fährhaus
Kennen Sie den? Steht ein Mann rum, sieht trottelig aus, benimmt sich trottelig und ist ein Trottel. Sagen sieben Frauen (durch die Blume): „Du Trottel.“ Witzig? Oder den? Nestelt ein Mann an seinem Einkaufsbeutel und das sieht von hinten so aus, als ob er an seinem Gemächte zugange wäre. Beobachten ihn drei Frauen und gucken verstört. Dann dreht der Mann sich um (mit dem Shopping-Büdel in der Hand) und die Frauen sind erleichtert: „Wir dachten schon, du ...“ Auch nicht besser? Dann ist Stepping Out nicht das Richtige für Sie.
Selbiges Stück von Richard Harris hatte am Freitag abend Premiere in der Komödie Winterhuder Fährhaus. Kurz gesagt, es geht in dieser mit diversen Tanzeinlagen versetzten Komödie um eine Steptanz-Gruppe von sieben Frauen und einem Mann namens Geoffrey (Ilja Richter) unter der Leitung zweier ehemaliger Spitzentänzerinnen (Alice und Ellen Kessler). Dafür verbringen die zehn irgendwo in London jeden Donnerstag eine Stunde miteinander. Das führt auf Dauer natürlich zu Konflikten, aber letztendlich schweißt es auch zusammen. Merke: Man muß nur ein gemeinsames Ziel haben, sich hin und wieder anschreien, um dann aggressionsbereinigt zu bemerken – es verbindet mehr als trennt.
Damit liegt Regisseur Rene Heinersdorff gar nicht weit daneben: Trotz unterschiedlicher Biographien und andersgelagerter Probleme – Ehe, Lebensabschnittsbegleiter oder Beruf – ist auch in dieser closed community eine Verständigung möglich. In der zweieinhalbstündigen Inszenierung kommt jedoch gerade jenes zu kurz: die Entwicklung von zehn Individuen zu einer Einheit und sei es nur für einen kurzen Augenblick, den gemeinsamen Auftritt. Doch die seltenen, stillen Momente gelebter Solidarität gehen unter in einem Wust von Pseudo-Lustigem. Man wünschte sich, das pointenlose Treiben möge für einen Augenblick innehalten – das sollte auch in einer Komödie erlaubt sein –, einfach um realisieren zu können, was eigentlich geschieht. Doch Heinersdorff setzt auf Tempo, welches Hektik ist.
Die Neun-zu-eins-Geschlechterverteilung wird zugezotet. So verpufft der libidinöse Streitdiskurs wirkungslos; der Schmerz der Kursleiterinnen, nicht mehr umjubelte Bühnenstars zu sein, wird in eine Flasche Gin und etwas Suff übersetzt – reicht das für Trauer?. Es wirkt, als ob der Dauertrubel verdecken soll, daß eigentlich nichts passiert. Dem ist natürlich nicht so. Kein Kursteilnehmer ist am Ende der drei Monate der, der er zu Beginn noch war. Alle haben sie begriffen: Geteiltes Leid kann halbes Leid sein. Doch der Prozeß der Annäherung interessiert Heinersdorff ja nicht. Damit verspielt er die Chance, aus Stepping Out mehr als eine zuweilen schlüpfrige Klamotte zu machen. Das Komödiengenre ist kein Freibrief für Belanglosigkeit.
Und die Schauspieler? Bis auf Gundula Petrovska als fette Rosa und Monika Tabsch als Boutiquenbesitzerin Maxine nur Routine. Der verbale Holzhammer wird geschwungen, bis ein jeder weiß: Witz, du bist umzingelt. Hätte sich das Ensemble doch den Grafitti an einer der blaßtürkisen Wände zu Herzen genommen: „Do it“ – eine Aufforderung zu Spontaneität. Stattdessen: Kennen Sie den? Inzwischen zur Genüge.
Clemens Gerlach
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