: Katzen als Souvenir
Die US-Amerikaner verlassen Berlin – manche sind kaum aus ihrem Wohngebiet herausgekommen / Auf Militärgelände üben heute CB-Funker ■ Von Miriam Hoffmeyer
Greg Markley hat die Flugtickets nach New York schon abgeholt, für sich und seine beiden deutschen Katzen. Eigentlich hätte er gern russisch sozialisierte Katzen gehabt, von den Rotarmisten in Karlshorst, die ihre Haustiere vor dem Abzug gern loswerden wollten. Aber das wäre zuviel Papierkram gewesen. Seine souvenirs from Berlin aus dem Tierheim hat Sergeant Markley „Sunset“ und „Unforgettable“ getauft. Worte, die einen wohlig-wehmütigen Schauer auslösen. Greg liebt dieses Gefühl. „I like a good farewell“, sagt er und strahlt über das ganze sommersprossige Gesicht.
Und zum Abschiednehmen hatten die Amerikaner in den vergangenen Monaten jede Menge Gelegenheiten. 1993 fing es an mit der Übergabe des Flughafens Tempelhof. Unzählige große und kleine, private und öffentliche Feiern folgten. Das Kino „Outpost“ zeigte nach vierzigjährigem Bestehen den letzten Film, die Alliierten hielten ihre große Abschiedsparade, und dann machte der PX- Shop zu, in dem die Amerikaner ihre Erdnußbutter und amerikanisches Waschpulver gekauft hatten. Irgendwann wurden die Colaautomaten im Hauptquartier an der Clayallee nicht mehr aufgefüllt. Und schließlich kam Bill Clinton, um seine „Berlin Brigade“ feierlich nach Hause zu schicken: „America salutes you: mission accomplished.“
Der Kalte Krieg ist gewonnen, das hat Greg noch einmal ausdrücklich im Berlin Observer geschrieben, der Armeezeitschrift, die er während des vergangenen Jahres herausgegeben hat: „The mission is done, and the good guys, us, won.“
Was bleibt? „Mehr als ein Koffer bleibt“, heißt es beim Deutschen Historischen Museum (DHM). Unter diesem Titel öffnet am 3. September die erste Ausstellung des Alliierten-Museums, das unter dem Dach des DHM eingerichtet wird. Hinter der geschwungenen Fassade des „Outpost“-Kinos sollen Dokumente und Objekte den Berlinern die Geschichte der westlichen Schutzmächte nahebringen.
Das hätte das Konzept des Museums gesprengt, meint Helmut Trotnow vom DHM. Denn der gemeinsame Widerstand von Westmächten und Berlinern gegen russische Drangsalierungen soll schließlich im Vordergrund stehen – die „Mission“ eben. Was genau zu sehen sein wird, steht allerdings noch nicht fest. Die Ausstellung ist work in progress, jeden Tag können neue Exponate dazukommen.
Fast jeden Tag wird eine Fläche, die die Alliierten beschlagnahmt hatten, an den Bund zurückgegeben. Der Gebietsstreifen Doughboy City beispielsweise. Am Südrand von Steglitz, wo die Kneipen früher „Land's End“ hießen, liegt die 72 Hektar große Fläche, direkt am Mauerstreifen. Die Sonne brennt auf überwucherten Gleisanlagen. Nach der Rückgabe gehört das Areal jetzt wieder der Bahn. Die zäunte es erst einmal ein, denn mit dem geplanten Bau von Wohnungen und Gewerberäumen wird frühestens 1996 begonnen.
In dieser kleinen deutschen Geisterstadt wurde der Häuserkampf trainiert. „Doughboys“ – so hießen die Infanteristen. Der Zaun hat heute eine Menge Löcher. Die Teenager aus den freudlosen Wohnblocks zu beiden Seiten des ehemaligen Grenzstreifens schlüpfen hindurch, um in Doughboy City spazierenzugehen, Flaschen zu zerschmeißen und die Ziegeldächer abzudecken.
Ordentlich gruppieren sich die einstöckigen Häuser um eine rote Backsteinkirche. Ein Graffiti- Sprayer hat ein Kreuz an die Ostwand gesprüht. Auf der anderen Seite des Dorfplatzes steht das Rathaus, auf dem sich ein Wachturm erhebt. Hier treiben die CB- Funker „27 FM Power Süd-Berlin“ ihr fröhliches Unwesen. Eine winzige „Goethestraße“ mündet in die noch winzigere „Bahnhofstraße“, die an einem S-Bahnhof mit einem echten Waggon vorbeiführt. Westlich der Gleise kommt wider Erwarten das schlechtere Viertel – Häuser mit Flachdächern und in Plattenbauweise. Hinter den Fensterhöhlen hängen von Geschossen durchlöcherte Kunststoffplanen.
Szenenwechsel Zehlendorf: Die beiden amerikanischen Siedlungen hier sind noch keine Geisterstädte, aber die meisten Bewohner sind schon ausgezogen. Nur wenige hundert Soldaten sind noch da. Vor der Wende waren 6.500 Soldaten in Berlin stationiert, die American Community hatte mit Familienangehörigen und Zivilangestellten insgesamt etwa 13.000 Mitglieder. Das Land Berlin erbt einen Yachtclub und eine Wassersportanlage am Wannsee, einen Golfclub, ein Fußballstadion und fünf weitere große Sportanlagen, verschiedene Clubs für Offiziere, Unteroffiziere und „Gemeine“, einen Kindergarten und zwei Schulen. Der Bund erbt die Flächen der vier großen Kasernen und das weitläufige Hauptquartier mit seinen strammen kantigen Säulen, ursprünglich erbaut für das 3. Luftgau-Kommando von Görings Luftwaffe. Und vor allem erbt der Bund genau 3.333 schöne, familiengerechte Wohnungen in bester Lage. Einige davon stehen schon länger als ein halbes Jahr leer. „Diese Wohnungen sind im Moment unser größtes Problem“, sagt Helmut John von der Oberfinanzdirektion Berlin. Denn 1998 sollen die Wohnungen Bundesbediensteten zur Verfügung stehen. 2.300 Beamte stehen auf der Warteliste. Deshalb sollen die Wohnungen vorläufig nur befristet vermietet werden. Einige hundert gehen ans Berliner Studentenwerk, aber bei den übrigen könnte es Ärger geben, glaubt John: „Wer da erst mal drin ist, zieht freiwillig nie wieder aus. Die Wohnungen kriegen wir erst wieder zurück, wenn der Mieter stirbt.“
Die Berliner, die auf die „Bonner Beamten“ ohnehin nicht gut zu sprechen sind, sehen jedoch nicht ein, daß geräumige Wohnungen zu deren Gunsten leerstehen sollen. Im Januar besetzten 25 obdachlose Frauen mit 20 Kindern einen Wohnblock. Sie wurden schon am selben Tag geräumt.
Wer zwischen den langgestreckten Häusern der amerikanischen Siedlung am Hüttenweg entlangschlendert, dem fallen außer den Fliegenfenstern vor allem die vielen Kinderspielplätze auf. Fast hinter jedem Haus ist einer, und meist gehört noch ein Grillplatz für die Erwachsenen dazu. Auch in der Taylorstraße 11, wo ein großer Wäschekorb voller Spielzeug vor der Tür steht. Im obersten Stockwerk kümmert sich Sabine Long um ihre fünf Kinder. Die Deutsche hat ihren Mann vor zehn Jahren kennengelernt, „in irgendeiner Discothek“, als er noch in der US-Armee diente. Später arbeitete er im amerikanischen Einkaufszentrum.
„Wir sehen den Abzug nicht einmal mit einem einzigen lachenden Auge“, sagt Sabine. Fast alle Freunde der Familie sind abgereist. Und ihr Mann hat seinen Job verloren, als die Läden an der Truman Plaza dichtmachten. Als Zivilbediensteter war Jim weder kranken- noch sozialversichert, und eine Abfindung hat er auch nicht bekommen. Weil sie als „Härtefall“ eingestuft werden, dürfen die Longs ihre Wohnung behalten. Sabine sieht gelassen in die Zukunft. Aber lieber spricht sie von der Vergangenheit. „Das Leben war hier unheimlich schön, wir waren wie eine große Familie. Alle haben ein bißchen aufeinander aufgepaßt. Wir haben gemeinsam gegrillt, jeder hat etwas mitgebracht, Chips, Fleisch, Salat.“ Wer nicht wollte, brauchte die Community im Alltag gar nicht zu verlassen. Für Unterhaltung war gesorgt, und im Einkaufszentrum gab es alles, sogar zwei Friseure – einen für soldatische und einen für zivile Frisuren.
Im Berliner Straßenbild fielen die Amerikaner kaum auf. „Wir haben immer versucht, die aus ihrer Siedlung herauszuholen – mit mehr oder weniger großem Erfolg“, gibt Eve Krüger vom Public Affairs Office zu. Sergeant Markley kann sich noch jetzt darüber aufregen, daß seine Kameraden Sanssouci und den ganzen Berliner Osten, ja selbst die Dahlemer Museen direkt vor der Haustür, links liegenließen. Er selbst nehme jedenfalls viel aus Berlin nach Hause mit: „History and art“. Die Erinnerung beispielsweise, daß einige alte Berliner die candies aufbewahrt haben, die ihnen die Luftbrücke bescherte. Und die Katzen natürlich. Etwas allerdings fehlt ihm: „It would have been nice to carry home a wife.“
Das deutsch-amerikanische Volksfest, auf dem sich Berliner und Amerikaner noch am nächsten kamen, bleibt der Stadt jedenfalls erhalten. Auch im nächsten Jahr wird es wie gewohnt über die Bühne gehen. Aber ohne das riesige Transparent, das nur in diesem Sommer über dem Eingang hängt: „Wir sagen Dankeschön und auf Wiedersehen“.
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