: Ruuudis Viertelstunde
Leverkusen – Frankfurt 4:0 / Ein Comeback elektrisiert Mannschaft und Massen ■ Aus Leverkusen Christoph Biermann
Nie mehr wird eine Handbewegung von Dragoslav Stepanovic solch einen Gefühlsausbruch produzieren wie jene am Sonntagabend. Sein Wink genügte, die 25.000 Zuschauerinnen und Zuschauer toben zu lassen. Denn um Punkt 19 Uhr und 27 Minuten brach Rudi Völler seine Aufwärmübungen ab und setzte zu einem langsamen Trab Richtung Leverkusener Trainerbank an. Selbst in der Kurve mit den Frankfurter Fans wurde beim Defilée von „Ruuudiii“ nicht mehr zwischen Freund und Feind unterschieden: Das Ulrich-Haberland-Stadion war im Völler-Taumel.
Siebzehn Minuten oder fünfzehn Ballkontakte später gab es dann eine kaum noch vorstellbare Steigerung des Jubels. Mit der letzten Aktion des Spiels köpfte Rudi Völler den Ball zum 4:0 ins Tor. Das Finale der Seifenoper war erreicht. Sieben Jahre, zwei Monate und zehn Tage hatten zwischen diesem Tor und dem Treffer in seinem letzten Bundesligaspiel gelegen, damals noch für Werder Bremen. Endlich war er wieder da!
Aber Rudi Völler wäre nicht Deutschlands beliebtester Fußballer, würde er auf die Liebesbekundungen des Publikums nicht mit solider Bodenhaftung reagieren. „Es war toll, wie ich begrüßt worden bin. Deshalb freue ich mich auch, daß es so gut geklappt hat. Für die Viertelstunde hat die Kraft auch ganz gut gereicht“, erklärte er hinterher. Mehr Völler wäre wahrscheinlich auch gar nicht möglich gewesen, denn seit dem WM-Aus gegen Bulgarien hatte er nicht mehr auf dem Platz gestanden. Doch obwohl Völler seitdem nur einige Waldläufe und danach gerade mal vier Trainingseinheiten bei seinem neuen Team absolviert hatte, produzierte allein seine Aura nach dem mißratenen Start in die Saison einen ungeheuren Leistungsschub bei Bayer Leverkusen.
Andreas Thom, in den letzten Monaten eigentlich chronisches Sorgenkind von Dragoslav Stepanovic, wurde hinterher vom Trainer besonders herausgestellt: „Er war motiviert wie lange nicht und hat gespielt wie in seinen besten Tagen.“ Thom überbot sich geradezu darin, der honigblonden „Tante Käthe“ Vorlagen zu servieren. Fast hatte man den Eindruck, einem Abschiedsspiel beizuwohnen, wo dem Helden vergangener Tage noch ein Treffer aufgelegt werden soll, und nicht einem Bundesliga-Comeback. Auch Bernd Schuster ließ sich von der kollektiven Völlerei zu einem großen Spiel inspirieren, das Stepanovic sogar für „Weltklasse“ befand. Auch wenn das im allgemeinen Überschwang etwas zu hoch gegriffen war, Schusters Treffer aus 45 Metern Entfernung verdiente das Prädikat allemal.
Obwohl Rudi Völler zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht auf dem Platz stand, war er auf wundersame Weise auch an diesem Treffer beteiligt. „Rudi hat mir heute vor dem Spiel gesagt, daß ich treffen werde, deshalb bin ich nach dem Tor sofort zu ihm gelaufen“, erklärte Schuster, und überhaupt „werden wir es ihm in Leverkusen so leicht machen wie möglich.“ Vielleicht hat die in entscheidenden Momenten immer etwas phlegmatische Bayer-Truppe mit Völler wirklich den Geist gefunden, der sie in Zukunft zusammenhalten wird. Stepanovic konnte seine Glückseligkeit jedenfalls kaum verbergen. Mindestens genauso wichtig für Bayer Leverkusen dürfte es allerdings sein, daß etwas von der ungeheuren Sympathie für Rudi Völler auf den wenig geliebten Werksverein abfärbt. Denn sogar in Leverkusen muß sich die Mannschaft die Zuneigung des Publikums immer wieder neu erspielen. So gesehen könnten sich die 500.000 Mark Ablöse und das sicherlich siebenstellige Gehalt für den 34jährigen vielleicht noch als die beste Investition der Vereinsgeschichte erweisen. Und ganz wie es sich bei der Ankunft von Großen gehört, setzte auch die Natur noch ein Zeichen: Am Ende des Tages stand ein prächtiger Regenbogen über dem Stadion.
Eintracht Frankfurt: Köpke - Binz - Komljenovic, Zchadadse, Weber - Dickhaut, Gaudino (64. Bindewald), Falkenmayer, Wolf - Penksa, Furtok (73. Okocha)
Tore: 1:0 Schuster (16.), 2:0 Kirsten (39.), 3:0 Sergio (73.), 4:0 Völler (90.)
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