: Später läßt sie die Flügel hängen
■ Ausdrücklich kein Ost-West-Ost-Beitrag: Eine deutsch- rumänische Gruppe spielt „Die Kosmonauten“ nach Müller
Das hat alles nichts zu bedeuten, sagt der Regisseur mit einer federnden Jugendlichkeit, die sämtliche Zweifel überspringt. Es sei nur ein Name, „MIR/WIR Netword“, keine Idee, kein Programm, keine Ästhetik verberge sich dahinter. Nein, auch die Ankündigung, einen „Ost-West-Ost- Beitrag“ mit der Produktion leisten zu wollen, solle man nicht zu hoch bewerten; so etwas mache man, um Gelder zu bekommen; das verstünde ich doch? Eigentlich sei es nämlich das Natürlichste auf der Welt, daß ein Berliner Regisseur mit Schauspielern aus vielen Nationen für zwei Monate in die Karpaten reist, um dort gemeinsam mit rumänischen Akteuren Müller zu inszenieren. Schließlich beherrsche er „alle fünf imperialistischen Sprachen“, sagt er und lächelt sehr kosmopolitisch, nun wolle er eine neue erlernen.
Das verstehe ich, natürlich, doch als dann die Hauptprobe der „Kosmonauten“ beginnt, verstehe ich erst mal gar nichts mehr; so viele imperialistische Sprachen, bald chorisch, bald solistisch, sprechen die zwölf Schauspieler. Dabei stehen sie zumeist vereinzelt auf der Bühne, gewissermaßen wie Kosmonauten im All. Da ist man froh, einige deutsche Müller-Sätze aus dem „Auftrag“ aufzuschnappen. Darin geht es um wackere Revoluzzer, die zu Zeiten der Französischen Revolution in Haiti einen Sklavenaufstand anzetteln sollen, doch schon bald nach dem Sieg Napoleons als Revolutionäre ohne Revolution dastehen – ohne Auftrag, also ziemlich dumm.
Diese fragmentarische Fabel hat der Regisseur Georg Maria Pauen nun noch mal in der dramaturgischen Mühle gemahlen; mit neuen Fragmenten versetzt. Zum Beispiel mit der Geschichte des Kosmonauten Kriakow, der im Auftrag der Sowjetunion jahrelang mit der Station MIR im All um die Erde saust, während die Sowjetunion schon lange schlappgemacht hat. Und dann spielen die Schauspieler natürlich sich selbst, also Schauspieler, die den Auftrag haben, Müllers Auftrag zu spielen. Raffiniert: Was wir auf der Bühne sehen, sind erst mal gescheiterte Revolutionäre, dann Kosmonauten, dann Schauspieler. Kein Wunder, daß das unverständlich ist, aber das Nichtverstehen hat System. Genau wie die Spieler sich gegenseitig nicht verstehen, verstehen die Zuschauer sie nicht. Der einzelne ist auf sich gestellt, die revolutionäre Masse zerfällt in unbehauste Individuen, woraus wir lernen, daß das Scheitern der Weltveränderer vor allem ein Scheitern der Kommunikation ist.
Künstlerisch kleidet das „MIR/ WIR Netword“ diese oder ähnliche Bedeutung in atmosphärische Bilder. So sehen wir auf der leeren, wie eine Landebahn beleuchteten Bühne allerlei vielsagende Gestalten. Eine beflügelte Frau mahnt an den Traum vom Fliegen, an die Technisierung der Welt, vielleicht auch an die Macht der Phantasie. Mittels einer Wippe hebt sie für kurze Zeit ab, später läßt sie die Flügel traurig hängen. Ein leichtgeschürztes Mädchen ist natürlich eine Schwester der Liberté, die fleischgewordene Freiheit.
Dann ist da noch eine mächtige Dame im braunen Gewand, deren Kopf in einem Vogelzwinger steckt. Sie spricht mit rumänischem Akzent, sie ist die Sklavin aus Haiti, das unterdrückte Weib oder einfach nur eine östliche, dicke Schauspielerin, vom westlichen Regisseur gedrillt. Der Revolutionär ist dagegen selbstverständlich ein Mann im schwarzen Anzug; einem Sklaven wird er die Fesseln lösen, die aus einem schwarzen Schlips bestehen. Später wird er einen apfelessenden Ami, mit Shorts und McDonald's- Kappe, hungrig anbetteln. Das ist dann aber schon der Anfang vom Ende der Revolution, die der Regisseur als eine Versteigerung inszeniert. Während die Lichter auf der Startbahn erlöschen, rattert eine amerikanische Maschinengewehrstimme Zahlen herunter: Die Hoffnung auf Freiheit wird meistbietend verhökert.
Etwas simpel sind die Bilder ja schon, mit denen das vielsprachige Team versucht, so viele Ideen auszudrücken; und auch die Schauspielerei wirkt vorläufig etwas bieder. Vorläufig, wohlgemerkt, denn das alles sind natürlich Probeneindrücke vor der heutigen Berliner Premiere. Immerhin soll die Arbeit des Regisseurs in Rumänien viel bedeutet haben, ja revolutionär gewirkt haben. Sagt jedenfalls der Regisseur. Dirk Nümann
heute bis 3.9., 20 Uhr, Die Pumpe, Lützowstraße 42, Schöneberg; 6.9., 20 Uhr, Kulturhaus Wittenberge, Bahnstraße 56; 10.9., 20 Uhr, Stadttheater Luckenwalde, Theaterstraße; Ende September gastiert „MIR/WIR Netword“ für zwei Wochen in Sibiu/Rumänien.
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