: Die Stimmen der Heiligen
■ Wie spielt man gegen eine Ikone? Mit der "Jeanne la Pucelle"-Actrice Sandrine Bonnaire sprach Annette Wagner
taz: Es muß ziemlich kompliziert sein, Jeanne d'Arc zu spielen. Einerseits, weil es diese unzähligen, längst zur Ikone gewordenen Vorbilder aus früheren Verfilmungen gibt, andererseits, weil man dauernd im Hinterkopf haben muß, daß Jeanne d'Arc als Nationalheldin Frankreichs von vielen Seiten, auch von der ganz rechten, politisch reklamiert wird. Was genau hat sie an der Jeanne d'Arc interessiert?
Sandrine Bonnaire: Jeanne d'Arc lehnt man nicht ab! Es ist zunächst eine Rolle, in der alles drinsteckt: Freude, großes Leiden, einfach alles außer Liebe plus Sex mit einem Mann. Denn ich bin davon überzeugt, daß Jeanne Jungfrau war. Rivette kam auf mich zu, mit zwei Büchern in der Hand, das war's.
Was die diversen Projektionen und Metaphern betrifft: Jeanne d'Arc existiert doch nur in den verschiedenen Vorstellungen der Menschen. Man weiß nicht, wer sie war. Sie ist ein Geheimnis.
Normalerweise mag ich Vorbilder nicht. Aber in diesem Fall bin ich dankbar dafür. Edith Piaf zu spielen wäre schwieriger für mich. Das einzig gültige Vorbild für mich war allerdings Maria Falconettis Jeanne in Carl-Theodor Dreyers „La Passion de Jeanne d'Arc“ von 1927/28.
Ich habe viele Jeanne-d'Arc- Filme gesehen: von Bresson, von de Gastyne ... Aber abgesehen von Dreyer fühlte ich immer eine große Distanz zu diesen Jeannes. Bressons Film beispielsweise ist gut, aber sehr kalt.
Bressons Film ist ja auch eher eine filmische Diskussion diverser Systeme ...
Absolut, ja, er erzählt keine lebendige Geschichte. Es geht um Machtverhältnisse zwischen Jeanne und dem Tribunalvorsitzenden, Bischof Cauchon – und zwischen all den Heuchlern untereinander. Es geht um Manipulationen, es geht um Betrug.
Bei Falconetti wiederum irritiert mich, daß sie diese ja auch von Ihnen als starke Frau verstandene Jeanne so ohnmächtig darstellt. Nicht ohne Grund nennt Dreyer seinen Film „La Passion de Jeanne d'Arc“: Ihr Leiden, ihre Ohnmacht, eine heutzutage befremdliche Demut stehen da im Vordergrund.
Sie ist die menschlichste, die realistischste. Denken Sie nur an die Szene mit dem Haareschneiden! Natürlich spielt sie aus heutiger Sicht extrem dramatisch. Aber das ist ein Prinzip des ganzen Films – und des Stummfilms überhaupt.
Falconetti interpretiert die Empfindungen dieses Mädchens. In den anderen Verfilmungen hat man versucht, die historische Seite von Jeanne d'Arcs Geschichte zu erzählen. Alle, die ich kenne, drehen sich ausschließlich um den Prozeß und die Verurteilung. Bei Dreyer – und jetzt bei Rivette – spielt das ganze Leben außerhalb des Prozesses eine Rolle.
Das heißt: Nicht nur die bekannten historischen Eckdaten von Jeanne d'Arcs Biographie – 1429 ihr siegreicher Feldzug gegen die englichen Besatzer von Orléans, 1431 ihr Scheitern an machtpolitischer Ranküne; der Inquisitionsprozeß und ihr Tod auf dem Scheiterhaufen –, sondern auch die Mühen der Ebene, das, was dazwischen lag?
So vieles an Jeanne d'Arcs Geschichte ist unbekannt. Man kennt den Anfang und das Ende. Rivette hat unter anderem versucht, die Abschwörungsszene detaillierter darzustellen – und vor allem den Rehabilitationsprozeß, den Jeannes Mutter 25 Jahre nach ihrem Tod für sie eröffnet hat, mit einzubeziehen. Gerade darüber weiß man allerdings sehr wenig.
Wer ist nun Ihre Jeanne d'Arc? Steht die Märtyrerin im Vordergrund oder die kämpferische Heroine?
Am Schluß ist sie eine Frau, die schlicht Schicksal erleidet. Am Anfang kämpft sie noch mit Zähnen und Klauen. Dadurch, daß wir nicht eine bestimmte Periode herausgegriffen haben, sondern versuchen, ihre ganze Entwicklung darzustellen, ist sie eben alles zugleich. Sie hat nicht nur einen Charakterzug. In erster Linie ist sie jemand, der für die Gerechtigkeit kämpft, ein Fanatiker. Aber sie ist auch eine Frau, die verrät, die andere im Stich läßt. Sie ist eine Jeanne d'Arc, die sich täuscht, die irrt. Und zum Schluß eine Jeanne d'Arc, die aufgibt.
Das klingt nach einer runden Story, die sich um eine große Heldinnenfigur rankt, das klingt nach Historiengemälde, nach Kostümfilm ...
Epische Breite birgt für Historienverfilmungen immer eine Gefahr. Aber ich sehe Rivettes Film nicht als Gemälde, und ich sehe Jeanne d'Arc nicht als Heldin. Jeannes Überzeugung ist heldenhaft – aber deshalb bleibt sie trotzdem menschlich. Sie ist trotzdem eine Frau ... sie war lebendig ... sie existierte.
Ich nehme an, das ist kein Plädoyer für eine gefühlige Hollywood-Jeanne, wie Ingrid Bergman sie 1948 in „Joan the Woman“ gab, jener zweiten pseudohistorischen Monumentalinszenierung von „Vom Winde verweht“-Regisseur Victor Fleming?
Puh, nein, der Film ist eine Katastrophe ...
Anno 1994 eine mittelalterliche Heerführerin zu verkörpern ist nicht gerade eine alltägliche Rolle. Ein krasses Kontrastprogramm zu Ihrem letzten Engagement in Michel Bénars hetero-homosexueller Dreiecksgeschichte „Le Ciel de Paris“. Und auch früher – ob als Vagabundin Mona in Agnès Vardas' „Vogelfrei“ oder als Objekt der Voyeur-Begierde in „Die Verlobung des Monsieur Hire“ – haben Sie stets Gegenwartsrollen gespielt. Welche besonderen Anforderungen stellt so ein historischer Film an Sie?
Zunächst einmal war das Agieren in der Rüstung nicht einfach, war körperlich anstrengend. Auch wenn die Rüstung nicht ganz echt ist, wiegt sie doch einiges. Damit auf die Toilette zu gehen mußte jedesmal organisiert werden – und in Eile durfte ich dabei nicht sein. Und was das Pferd betrifft – da könnte ich Geschichten erzählen! Rivette stellte harte Anforderungen. Gleich am ersten Drehtag mußten wir eine lange Einstellung ohne einen einzigen Schnitt drehen: nach fünf Tagen Reitunterricht, noch niemals mit Rüstung auf einem Gaul gesessen, im gestreckten Galopp mit zwanzig Pferden heranreiten. Dazu die
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riesigen Ventilatoren, die die Pferde scheu machten (in dieser Szene vollbringt Jeanne d'Arc ein Wunder: Sie bewirkt, daß der Wind sich dreht). Das größte Problem war für mich jedesmal, jemanden darzustellen, der intensiv glaubt. Nicht nur einfach zur Kirche geht, sondern ganz tief und echt an Gott glaubt. Ein solcher Glauben ist für mich ohnehin ein großes Geheimnis.
Es ist mir wichtig, daß Jeanne d'Arc nicht als naive Gläubige rauskommt. Zeugenaussagen zufolge war sie eine sehr bodenständige, starke junge Frau und diese Verbindung zwischen Glauben und Stärke wollte ich unbedingt ausdrücken. Deshalb habe ich versucht, die Gebete als eine intensive Begegnung mit Gott darzustellen. Als eine große Konzentrationsaufgabe.
Jeannes Lebensgeschichte wird in Rivettes Film über eine Spanne von zwei Jahren gezeigt. Am Anfang hat Jeanne die Stimmen der Heiligen sehr deutlich gehört. Am Ende, als sie sehr müde und sehr erschöpft war, hat sie sie nur noch schlecht verstanden. Für mich zeigt das, daß es große Konzentration und Anstrengung erfordert, mit Gott in Kontakt zu treten.
Hat die Verkörperung der Jeanne d'Arc Sie persönlich dem Glauben näher gebracht?
Eigentlich nicht. Ich hatte früher immer große Angst vor der Bibel, weil meine Mutter mich sehr autoritär zwang, sie zu lesen. Heute lese ich drin, ich kenne einige Stellen genauer. Ich gehe auch in die Kirche, seit ich diese Rolle gespielt habe. Aber wenn ich dann in Sacré-C÷ur in eine Messe gerate, bei der ich merke, daß der Pfarrer selber nicht glaubt, was er da liest, bin ich enttäuscht.
Glauben Sie an Erscheinungen, die Jeanne angeblich hatte?
Das ist eine große Frage. Ich glaube, daß man Erscheinungen haben kann, einfach weil die Phantasie arbeitet. Ich glaube, daß die Stimmen, die zu Jeanne sprachen, das Echo ihrer eigenen Stimme waren, dessen, was sie gedanklich verarbeitete.
Zur selben Zeit wie Jacques Rivette hat jetzt auch die US-Regisseurin Kathryn Bigelow Jeanne d'Arcs Leben verfilmt. (Winona Ryder spielt die Hauptrolle, „Company of Angles“ soll der Film heißen). Da hat nun Gérard Dépardieu in „1492“ als Christoph Columbus Amerika erobert, Denzel Washington hat „Malcolm X“ und Kevin Costner indirekt „JFK“ wiederauferstehen lassen. Warum sind historische Heldenfiguren im französischen wie im amerikanischen Kino derzeit so en vogue?
Ich verstehe das auch nicht ganz. Ich erlebe solche Wellen immer wieder. Als ich „Sous le Soleil de Satan“ drehte, gab es drei, vier religiöse Filme, die sich mit dem gleichen Thema beschäftigten. („Die Sonne Satans“, 1987, Bonnaires zweiter Film mit Regisseur Maurice Pialat: der Mensch – hier ein schwacher Priester – im Spannungsfeld von Anfechtung, Sünde und Gnade. Sein vom kompromißlosen Glauben untermauertes Bemühen, unfehlbar zu sein, schützt ihn nicht vor der Versuchung in Gestalt der unschuldigen jungen Mouchette, alias Sandrine Bonnaire, Anm. d. Red.)
Sie interpretieren die momentane Kino-Popularität von großen Männern und Frauen der Geschichte, insbesondere von Jeanne d'Arc also nicht gesellschaftlich im Sinne von: Die Zeit ist reif für Heldinnen?
Ich glaube, die Zeit ist reif für Gerechtigkeit.
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