: An der Dienstsocke erkannt
Lesbische und schwule PolizistInnen leben hierzulande noch immer in einer Tabuzone / Nach einem ersten bundesweiten Treffen wollen die „Streifenhörnchen“ nun in die Offensive gehen ■ Von Tom Kuppinger
Für die Partyüberraschung legten die Kollegen vom Polizeiabschnitt Berlin-Friedrichshain zusammen. Als die Gartenfete von Polizeiobermeister Joachim Klarner, 26, dann auf ihren mitternächtlichen Höhepunkt zutrieb, ließ ein eigens angeheuerter Profi- Stripper die Hüllen fallen. Fröhlich angefeuert wurde der Go-go-Boy von mehr als zwei Dutzend Polizisten nebst Partnerinnen sowie von zahlreichen Freunden Klarners aus der Berliner Schwulenszene.
Das schräge Geburtstagsgeschenk als liebevolle symbolische Geste. Auf völlig ungläubige Kollegengesichter stieß Ordnungshüter Klarner jetzt in Göttingen beim ersten bundesweiten Treffen lesbischer Polizistinnen und schwuler Polizisten. Denn die Realität in Sachen Polizei und Homosexualität sieht noch immer anders aus.
Die 30 Teilnehmer, die sich unter eher konspirativen Vorzeichen aus allen Teilen der Republik ins abgelegene Tagungshaus „Waldschlößchen“ wagten, leben beruflich fast alle versteckt. Vertreten waren Beamte von Kripo, Schutzpolizeien, Landeskriminalämtern, Bereitschaftspolizeien und Bundesgrenzschutz, darunter drei Frauen.
Hauptthema des Wochenendes, das von seiten der Polizeiverbände nur von der radikal-demokratischen „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen“ unterstützt wurde, war die Angst: die Angst vor konkreten Repressalien von oben und die vor grausamen Schikanen und Demütigungen in der Truppe.
Beispielsweise die Furcht des einsamen 38jährigen Frankfurter Schutzpolizisten Frank D., der immer noch über sich schweigt, nach „20 Dienstjahren als Streifenhörnchen“. Er ist braungebrannt, kräftig, ein Bild von einem deutschen Schupo, eigentlich ein Frauentyp. Auf seinem Revier wechsele mit ihm seit Jahren keiner mehr ein privates Wort. Ja, das Getuschele und üble Gelästere hinter seinem Rücken sei förmlich zu spüren, erzählt er. Angefangen habe dies um sein 30. Lebensjahr herum, als er noch immer nicht mit einer Frau auftauchte.
So einer also. Plötzlich blieben Einladungen zum Feierabend- Bierchen aus. Und wenn er anfangs selbst noch welche aussprach, dann „hatten sie alle noch zu tun und am nächsten Tag kriegte ich dann mit, daß sie doch noch ohne mich in die Kneipe gezogen sind“.
„Es kann durchaus ratsam sein, sich weiter zu verstecken“, sagt darauf angesprochen der Berliner Kriminalhauptkommissar Heinz Uth, 58. „Warum sollte jemand ein Risiko eingehen, wenn er sich arrangiert hat?“ Der heterosexuelle Uth ist seit 1990 Deutschlands einziger Polizist, der hauptberuflich mit Schwulen und Lesben zu tun hat. Offizieller, gewundener Titel: „Der Ansprechpartner der Berliner Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen.“ Uth, der sich selbst inzwischen „als Berufsschwuler, aber in preußischer Beamtentradition“ sieht, hält das Klima der Polizei nach wie vor für zwiespältig. Homosexuellen Jugendlichen würde er nur bedingt zum Berufseintritt raten. „Sie müssen Nackenschläge aushalten können, denn die kommen bestimmt.“
Gedacht war Uths Stelle ursprünglich dafür, Vertrauen in die Polizei in den lesbischen und schwulen Szenen der Stadt aufzubauen. Nur gemeinsam könne man dem Problem der vielen gewalttätigen Übergriffe auf Homosexuelle Herr werden. Die Polizei sieht der erfahrene Beamte Uth dabei in einer historischen Bringschuld.
Uths Ein-Mann-Mission zwischen den Welten wirkte überraschenderweise auch nach innen. Ein kleines Grüppchen homosexueller Kollegen aus Dienststellen aller Art hat sich halb verdeckt, halb offen um ihn gesammelt und betreibt mit ihm zusammen nun ein europaweit einzigartiges Gewalt- Präventions-Projekt: regelmäßig fahren sie in Uniformen in einem grünen „Polizei-Infomobil“ mit Faltblättern zu den Schwulentreffs in den nächtlichen Berliner Parks.
Das führt dort zu Aha-Erlebnissen am laufenden Band. Die Parkbesucher aus der Szene registrieren verblüfft eine Polizei, die ihnen nicht mehr nachstellt, sondern Gratis-Kaffee und Ratschläge verteilt. Wenn dann der Uniformierte noch durchblicken läßt, daß er selbst auch das eigene Geschlecht bevorzugt, versteht mancher die Welt nicht mehr. Vorbeischlendernde gutbürgerliche Ehepaare erhalten sommernächtens Nachhilfe in Sachen Bürgerrechte und Minderheiten: Nein, der Einsatz hier geht nicht gegen die Schwulen, sondern ist endlich einer für die Schwulen. Und den rechtsradikalen Rowdies, die im Berliner Volkspark Friedrichshain auf dem Weg zum „Schwulenklatschen“ sind, gerät ihr Sauber-Mann-Weltbild völlig ins Wanken.
Daß gerade sie bei der Polizei und Justiz über Jahre ein gewisses klammheimliches Verständnis fanden, hat mit zum gestörten Verhältnis zwischen Polizei und der Szene beigetragen. Opfer wurden peinlich ausgefragt, registriert, verspottet und eingeschüchtert. Bis heute unterbleiben deshalb Hilferufe und Anzeigen. Brutale Gewalttäter konnten sich dagegen in so einem Klima als geduldete Vollstrecker von Volkes Wille fühlen.
Wenn nun schwule und lesbische Polizeibeamte in ihren Behörden Toleranz nach außen und innen einklagen, tun sie das aus zweierlei Gründen: zum einen wollen sie nicht länger als versteckte, verklemmte Wesen Dienst tun. „Was nützen mir 4.000 Mark im Monat, wenn ich immer schweigen muß und nie glücklich bin“, fragte sich die Hamburger Kommissarsanwärterin Nicola Tuschwitz, 27, und gründete in der Hansestadt eine inzwischen elfköpfige Arbeitsgemeinschaft Gleichfühlender. Zum anderen geht es ihnen in seltsam verschmähter Liebe zum Dienstherren aber auch um eine modernere, bürgernähere, bessere Polizei, die sich wirklich allen Teilen der Gesellschaft stellt. Viele begreifen sich da radikal als Teile jenes Lagers innerhalb der Polizei, das endlich nicht mehr mit Korpsgeist-Machenschaften und Übergriffen in Verruf gebracht werden möchte – und deshalb massiv Transparenz und Öffnung in jede Richtung als beste Medizin gegen die immer wiederkehrenden Polizeiskandale fordern. Denn: Monokultur schafft Mief.
Beim ersten Bundestreffen, initiiert vom Berliner Gewalt-gegen- Schwule-Experten Jens Dobler, dem Bundessprecher der „Kritischen Polizisten“ Jürgen Bugla und dem Düsseldorfer Polizeiangehörigen Lutz Wohlan, blieben völlig offen lebende Kollegen die Ausnahme. Auch aus Karriereerwägungen. „Wenn ich mich jetzt oute“, beschrieb ein Münchner Streifenpolizist das bayrische Klima, „dann bleibe ich ewig Obermeister, denn gegen geschickt formulierte Beurteilungen kann ich nichts machen.“
Was für ein Leben das mit sich bringt, hat der Berliner Polizeikommissar Burkhart Gieseler, 41, in 22 Dienstjahren miterlebt. „Im Dienst hatte ich eine perfekte Legende und nach Feierabend in der Szene mußte ich immer aufpassen, daß ich nicht vor den Lokalen auf Polizei treffe.“ Als man ihn dann in den 70er Jahren, als die Polizei noch Streifen gegen Schwule fuhr, ausgerechnet in den Berliner Homokiez rund um den Nollendorfplatz versetzte, stellte er sein privates Nachtleben zeitweilig völlig ein.
Dennoch kam es beinahe zum Fiasko. Als Gieseler zusammen mit Kollegen wegen einer Streiterei ein Szenelokal räumen sollte, rief ihm einer der Gäste zu, er sei doch selbst ein Schwuler. Dem Wachtmeister lief es heiß und kalt den Rücken runter, doch der Outing-Versuch ging im Eifer des Gefechts unter.
Ein ungesundes, unwürdiges Doppelleben. Weil solche Geheimniskrämerei bis heute die Normalität darstellt, vergehen für homosexuelle Beamte oft Jahre, bevor sie auf einen Schicksalsgenossen treffen. Gieseler hatte 13 Dienstjahre lang das Gefühl, „daß ich der einzige in der riesigen Berliner Polizei bin“. Einen der ersten Gleichgesinnten ortete er ausgerechnet in einer Homobar – durch einen Fauxpas. „Der hatte die Dienstsocken unter der Jeans an, und ich sprach ihn darauf an.“ Der Kollege gestand.
Seit er sich nun 1992 öffentlich machte, fühlt sich Gieseler „wie ein neuer Mensch“. Dennoch kann Gieseler nur staunen, wie unverschämt fröhlich und locker dies heute sein Kollege Joachim Klarner handhabt. Der verschwendet keinen Gedanken daran, in welche Disco er geht, wen er liebt – und was der Apparat darüber denkt. „Wir sind zwar warm und brüderlich, doch warme Brüder sind wir nicht“, hatte ihn gleich zu Ausbildungsbeginn noch ein Vorgesetzter augenzwinkernd ermahnt.
Seither legt der Vollblutpolizist Klarner, frech kommt weiter, alles daran, den alten Kasernenhofwitz zu widerlegen. Schlimm findet Klarner aber schon, „wenn ich gleichaltrige schwule Kollegen in der Szene mit Alibi-Frau zur Tarnung treffe“.
Damit sich im letzten großen Tabufeld für Homosexuelle – neben der Bundeswehr – überhaupt etwas ändert, wollen die schwulen und lesbischen Polizisten nun bundesweit Gruppen gründen und regelmäßig regionale und bundesweite Treffen veranstalten. Die sollen ganz ohne Coming-out- Zwang auch diskret für die vielen versteckten Kollegen zugänglich sein. Der Düsseldorfer Polizeiangehörige Lutz Wohlan (Telefon: 0211/28 14 04) koordiniert nun den Aufbau kleiner Grüppchen, leitet interessierte Beamte bundesweit an gleichgesinnte Kollegen in ihrer Region weiter – soweit schon welche bekannt sind. Angedacht ist zudem eine regelmäßige Infopostille, Arbeitstitel: „Rosa Streife“.
„Der einzige Weg, den wir zur Normalität gehen können“, sagt Nicola Tuschwitz aus Hamburg, „ist ein bitterer: Es müssen sich noch viel mehr Kollegen outen – auch wenn das für einige sehr schlimme Folgen haben wird.“
Ihr Kollege Oliver Kowalke, 28, offen schwuler Polizeiobermeister in Hamburg-Brahmfeld, tut dies inzwischen auch nach außen. „Da, nehmen Sie, junger Mann, und gehen Sie mit ihrer Freundin mal ein Eis essen“, sagte ihm kürzlich eine alte Dame und wollte ihm einen Zwanzigmarkschein zustecken, nachdem er ihr aus einer Misere geholfen hatte. Frohnatur Kowalek, der mit 19 ausgerechnet von einem Kollegen in die Männerliebe eingeführt worden war, entgegnete, erstens dürfe er den Schein nicht nehmen, und zweitens könne er nur mit seinem Freund Eis essen gehen. Nach einer Schrecksekunde fand die alte Dame das dann „ganz reizend“.
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