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Ausstieg aus dem Ausstieg

USA verlangen Ausstiegsklausel in Atomwaffenteststopp-Abkommen / „Die weltpolitische Situation könnte erneute Tests nötig machen“ / Verärgerte Reaktionen in West wie Ost  ■ Von Andreas Zumach

Genf (taz) – Entgegen bisherigen Erklärungen der Clinton-Administration wollen die USA keinen endgültigen Atomwaffenteststopp. Statt dessen soll in einem internationalen Abkommen die Möglichkeit zum Ausstieg aus dem Vertrag bei einer „Überprüfungskonferenz“ in zehn Jahren festgeschrieben werden. Ein entsprechender Vorstoß der US-Delegation bei den Teststopp-Verhandlungen der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz hat nicht nur Rußland, sondern auch Washingtons Nato-Partner überrascht und verärgert.

Weiterhin umstritten ist – auch zwischen den fünf offiziellen Atomwaffenmächten –, ob sämtliche Formen atomarer Explosionen vollständig oder nur ab einer bestimmten Stärke verboten werden sollen und ob bestehende Testanlagen abgebaut werden müssen.

Da es zudem noch Differenzen über die Methoden zur Verifikation eines Abkommens gibt, besteht der Vertragsentwurf, der nächste Woche veröffentlicht werden soll, zu über drei Vierteln aus Klammern mit nicht konsensfähigen Formulierungen. Damit scheint die Vereinbarung eines Teststopp-Abkommens rechtzeitig bis zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (NPT) im April 1995 nahezu ausgeschlossen zu sein.

Der „einfache Rückzug“ eines Vertragsstaates von einem Teststopp-Abkommen soll nach dem jüngsten US-Vorschlag erstmals möglich sein anläßlich einer Überprüfungskonferenz zehn Jahre nach Vertragsabschluß. Denn, so Washingtons Begründung, in dieser Zeit könne sich die weltpolitische Situation entscheidend verändert haben – zum Beispiel falls der Atomwaffensperrvertrag nicht verlängert oder aber faktisch ausgehöhlt worden sei.

Mit dieser Politik der „Rückversicherung“ haben sich das Pentagon und das für die Atomwaffenproduktion zuständige Energieministerium gegen das State Department und die Rüstungskontroll- und Abrüstungsbehörde (ACDA) durchgesetzt, die ebenso wie Präsident Clinton auf ein unbegrenzt gültiges Teststopp-Abkommen ohne Ausstiegsklausel gedrängt hatten. „Wir wollen einen Teststopp-Vertrag mit unbegrenzter Gültigkeit aushandeln, von dem ein Rückzug nicht einfach möglich ist“, hatte Großbritanniens Genfer Delegationschef noch Anfang August zu Protokoll gegeben. Die anderen drei offiziellen Atomwaffenmächte, Rußland, Frankreich und China, vertreten dieselbe Position – ebenso wie die übrigen Mitglieder der „westlichen Gruppe“ in der Abrüstungskonferenz. Diplomaten aus diesen Staaten äußerten in zum Teil drastischen Worten Überraschung und Verärgerung über den US-Vorschlag. Dieser sei das „absolut falsche Signal“ für die Überprüfungskonferenz 1995. Bei dieser Konferenz muß über eine Verlängerung des 1968 vereinbarten Sperrvertrags entschieden werden.

Vor allem die fünf offiziellen Atommächte, aber auch alle anderen Staaten des Westens sowie Osteuropas unter den 140 Unterzeichnerstaaten streben eine unbegrenzte Verlängerung an. Die Chancen hierfür stiegen, wenn zuvor ein umfassendes Teststopp- Abkommen vereinbart wäre. Denn zahlreiche Staaten des Südens, angeführt von Mexiko, verlangen, daß die fünf Atommächte zumindest mit einer Teststopp- Verpflichtung endlich Artikel 6 des Sperrvertrages umsetzen, in dem sie sich zum vollständigen Abbau ihrer Atomwaffenarsenale verpflichtet hatten.

Keiner der Unterzeichnerstaaten des Sperrvertrages hat zwar bislang offiziell die Absicht zu einer zeitlich begrenzten Verlängerung bekundet. Doch nach der jüngsten Kehrtwende Washingtons wird in Genf erwartet, daß mindestens fünf Staaten vielleicht bereits auf der am 12. September beginnenden 3. Vorbereitungstagung für die Überprüfungskonferenz eine entsprechende Erklärung abgeben werden: Mexiko sowie Nordkorea, Irak, Iran und Ägypten.

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