: „Kapitulation“ der britischen Regierung
■ Die Furcht der Loyalisten und Unionisten vor einem vereinten Irland
Nordirlands Protestanten hätten von einem IRA-Waffenstillstand nichts zu befürchten, versicherte der irische Außenminister Dick Spring gestern. Das Mißtrauen sitzt tief bei den Unionisten und den Loyalisten. Die einen haben dem britischen Parlament Treue geschworen, die anderen der englischen Krone, doch beide treten für den Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich ein – die Loyalisten auch mit Gewalt. Ihren Organisationen fielen in den vergangenen drei Jahren mehr Menschen zum Opfer als der IRA. Der IRA-Waffenstillstand scheint ihre schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen: Die IRA, so die Logik der Loyalisten, ist militärisch nicht besiegt worden. Wenn sie die Waffen niederlegt, muß sie also den Krieg – beziehungsweise entscheidende Zugeständnisse aus London – gewonnen haben.
Ein Sprecher der Ulster Freedom Fighters faßte die Stimmung der Loyalisten zusammen: „Glaubt ihr Iren wirklich, daß wir uns gemütlich zurücklehnen und uns in ein vereintes Irland hineinzwingen lassen?“ Den „sogenannten Friedensprozeß“ bezeichnete er als „Rezept für einen Bürgerkrieg“. Vorerst wolle man jedoch stillhalten: Das „Vereinigte loyalistische Militärkommando“, in dem drei paramilitärische Organisationen zusammengefaßt sind, erklärte gestern, man wolle nähere Informationen über die Hintergründe des Waffenstillstands abwarten, bevor man darauf reagiere. Das Militärkommando forderte die unionistischen Politiker James Molyneaux und Ian Paisley auf, sich in London nach eventuellen Geheimabsprachen mit der IRA zu erkundigen. Damit soll den Spekulationen ein Ende gesetzt und „dem nordirischen Volk die Wahrheit“ gesagt werden.
Für den rechtsradikalen Pfarrer Paisley von der Demokratischen Unionistischen Partei (DUP) war die Sache gestern jedoch bereits klar: Er sprach von einem „Kapitulationspaket, das die britische Regierung mit der IRA“ zurechtzimmere. Die Äußerungen seines Pressesprechers Sammy Wilson deuten auf einen Bruch zwischen der DUP und der größeren Ulster Unionist Party von Molyneaux hin. Wilson sagte, es sei sehr schwer, eine breite unionistische und loyalistische Front gegen den „Verrat der britischen Regierung“ aufzubauen, wenn Molyneaux so tue, als ob es kein Problem und keine Krise gebe. Der UUP-Vorsitzende wollte gestern mit dem britischen Premierminister John Major zusammentreffen, der sich bisher mit seiner Meinung über die veränderte Situation in Nordirland erstaunlich bedeckt gehalten hat.
Molyneaux sagte, daß die kommenden Wochen „absolut entscheidend für die Politik und die Sicherheit in Nordirland“ seien. Er forderte alle Unionisten auf, von übereilten Aktionen Abstand zu nehmen. Damit steht er in seiner Partei jedoch ziemlich allein. Sein Fraktionschef William Ross sagte: „Ich glaube, daß die IRA ein geschäft mit der Dubliner Regierung gemacht hat. Schließlich verfolgen sie dieselbe Politik.“ Ein Wandspruch, der in der Nacht zu gestern in Süd-Belfast aufgetaucht ist, faßt die protestantische Unsicherheit über den Waffenstillstand und die Angst vor der Zukunft in bedrohliche Worte: „Tod allen irischen Nationalisten“, steht da geschrieben. „Es ist besser, aufrecht zu sterben, als auf den Knien in einem vereinten Irland zu leben.“
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