: „Ein Fall organisierter Unmenschlichkeit“
Der während der Abschiebung im Flugzeug verstorbene Nigerianer lebte seit 1989 in der Bundesrepublik / Die Mainzer Behörden sind sich keiner Schuld bewußt ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt
Auch vier Tage nach dem Tod eines nigerianischen Asylbewerbers nach einer „medizinischen Zwangsbehandlung“ (Pro Asyl) während einer versuchten Abschiebung auf dem Rhein-Main- Flughafen weigert sich die ermittelnde Staatsanwaltschaft noch immer, den Namen des Verstorbenen mitzuteilen – „aus Persönlichkeitsschutzgründen“. Inzwischen steht allerdings fest, daß der dreißigjährige Nigerianer seit März 1994 in Rheinland-Pfalz in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Zweibrücken in Abschiebehaft saß.
Bei der Staatsanwaltschaft hieß es gestern, der Nigerianer habe die Spritze an Bord der Maschine erhalten, weil er heftige Gegenwehr bei seiner Abschiebung leistete. Vier Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) hatten ihn zuvor „massiv gefesselt“ in die Maschine gebracht. Ein BGS-Sprecher auf dem Frankfurter Flughafen erklärte, der Arzt sei zwar vom BGS beauftragt gewesen, gehöre ihm aber nicht an.
Nach Auskunft von Gunhild Weihe von der Gröben vom rheinland-pfälzischen Innenministerium seien von März bis Ende Juli insgesamt drei Versuche unternommen worden, den abgelehnten Asylbewerber abzuschieben. Während die Abschiebeversuche in zwei Fällen offenbar schon im Vorfeld am „gewalttätigen Widerstand“ (Ausländeramt Kaiserslautern) des Nigerianers scheiterten, soll sich beim dritten Abschiebeversuch die betreffende Fluggesellschaft geweigert haben, den Mann mitzunehmen.
Im Gespräch mit der taz sagte gestern der Chef der Ausländerbehörde in Kaiserslautern, Amtsleiter Huth, daß der Nigerianer 1989 in die Bundesrepublik eingereist sei und in Bad Dürkheim in Rheinland-Pfalz einen Asylantrag gestellt habe. Bis 1992, so ein Sprecher der Kreisverwaltung im Landkreis Bad Dürkheim, habe der Nigerianer dann in einer von der Stadt Bad Dürkheim für die Unterbringung von Flüchtlingen angemieteten Wohnung gelebt.
Nachdem der Asylantrag vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt worden war, sei der Mann dann „untergetaucht“, sagte Amtsleiter Huth. In die Zuständigkeit der Ausländerbehörde von Kaiserslautern geriet der abgetauchte Schwarzafrikaner nach einer Festnahme durch die Polizei in Kaiserslautern im März 1994 „in Zusammenhang mit einer Straftat“ (Huth). Nach den Informationen von Huth soll der Nigerianer „offensichtlich Beziehungen zum Drogenmilieu“ gehabt haben.
Von Amts wegen ließ die Ausländerbehörde in Kaiserslautern den abgelehnten Asylbewerber dann dem Haftrichter vorführen. Der ordnete Abschiebehaft an – und der Nigerianer wurde in die JVA in Zweibrücken verbracht. Gegenüber der taz wollte Anstaltsleiter Stürmer nur bestätigen, daß der Nigerianer in „seiner“ Haftanstalt einsaß, da sich die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Main alle Auskünfte zu dem Fall vorbehalten habe.
Für den Chef der Ausländerbehörde in Kaiserslautern, Huth, steht fest, daß man weder in Bad Dürkheim noch in der JVA Zweibrücken etwas von dem „krankhaft vergrößerten Herz“ (so der Obduktionsbericht) des Nigerianers gewußt habe. Der Mann habe keine entsprechenden Medikamente bekommen – „und auch selbst keine verlangt“. Im Gegenteil sei er aufgrund seiner „Gewaltausbrüche“ (Huth) als „sehr robust“ eingeschätzt worden.
Im Innenministerium von Rheinland-Pfalz legte man gestern großen Wert auf die Feststellung, daß sich „keine Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verantwortung“ der rheinland-pfälzischen Polizeibeamten ergeben hätten. Der Nigerianer sei in der JVA Zweibrücken von vier Polizisten abgeholt, gefesselt zum Flughafen nach Frankfurt gebracht und dort den Beamten des Bundesgrenzschutzes übergeben worden.
Nicht zufrieden mit dieser Erklärung gaben sich die Bündnisgrünen im Landtag in Mainz. Deren Fraktionsvorsitzende Friedel Grützmacher verlangte die „lückenlose Aufklärung“ der Vorgänge. Auch für Pro Asyl wirft das „gnadenlose Vorgehen gegen Menschen, die in Deutschland Zuflucht gesucht haben, ein grelles Licht auf die organisierte Unmenschlichkeit der deutschen Abschiebepraxis“.
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