Libertäre, sagt mir, wo das Chaos ist!

Nehm ich nun ne Dose Bier mit? Als Tarnung aber untauglich für jemanden, der kein Bier trinkt und schon garnicht aus der Dose. Und sowieso nicht, wenn selbst die Hose ganz tief unten aus dem Wäschekorb höchstens muffig, keineswegs aber nach Chaos riecht. Was sie eigentlich tun sollte, wenn man zur „ultimativen Chaosparty“ geht, im Schanzenviertel, da, wo der Ausgangspunkt sein wird für dieses Hamburger Wochenende voll mit „Schneisen der Gewalt, Zerstörung und Verwüstung“. So steht es jedenfalls in meiner Einladung.

Also auf zu der „Menschenhorde von unabsehbarem Ausmaß, die das Zentrum der Gewalt bildet“; die Frust und Haß in die Hamburger City bringen will und kleinbürgerliche Auswüchse zerstören.

Hah, in die City, denke ich mit heimlichem Groll, kennen wir schon, das reicht doch wieder nur bis zur nächsten Kreuzung im Viertel und schon ist das wieder Klump und die Nachtruhe auch.

Menschenhorde also. Lagerstraße – total dunkel. Schon mal mehr Betrieb gesehen. Dahinten seh ich was, sag ich zu meinem Begleiter, der auch nicht nach Chaos aussieht, aber trotzdem echt cool. Auch ohne Bierdose, da ist eh kein Platz für, weil da immer die Kippe im Mundwinkel hängt.

Ne Treppe tiefer geht's ins Libertäre Zentrum, kann ich mich dran erinnern – aber seit wann haben die Anarchisten Marmor am Eingang? Und seit wann tragen Chaos-Bräute Stretch-Minis? Häh? Dunkle Schnauzbart-Augen voller Interesse auf meiner miefigen Hose, die meines Begleiters (eine Spur weniger cool) auf den Minis der libertären Damen an der Bar. Chaos-Party im Türken-Puff?

Lagerstraße im Dunkeln – das Chaos taumelt seinem Höhepunkt entgegen. Nächster Eingang, eine Treppe tiefer. „Hai Panka! Hia is kaine Paadie (ech nich). Kugt mal im Park oder in die Flora“, ein klärendes Schild der Anarchisten. Und weit und breit nur tote Hosen.

Es fängt an zu regnen, man muß auch mal loslassen können. In der ungetrübten Nachtruhe im Viertel schwingt Resignation. „Hat Chaos sich früher nicht irgendwie anders angefühlt? Oder werden wir bloß alt?“ Die Kippe nickt – wer weiß wozu.Sannah Koch