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Eine kleine Rebellion

■ Letzte namenlose Bibliothek in Kreuzberg gab sich den Namen einer Pionierin des Bibliothekswesens: Bona Peiser

Im März 1929 starb eine Frau, deren Namen halb ausgesprochen immer irgendwie an Napoleon erinnert: Bona Peiser. Es ist nicht einfach, 65 Jahre nach ihrem Tod die Stationen ihres Lebens zu rekonstruieren. Soviel aber weiß man: Sie ist eine Pionierin des Bibliothekswesens. Seit vergangener Woche trägt die letzte namenlose Bibliothek Kreuzbergs in der Oranienstraße ihren Namen.

Noch leihen sich die BerlinerInnen Bücher aus, und zwar 1993 pro Kopf ungefähr fünf Stück. Der Leselust steht ein öffentlicher Haushalt gegenüber, der in seinen Sparbeschlüssen vor Bibliotheken nicht haltmacht. Die Mittel für Neuerwerbungen werden verknappt, Stellen werden gestrichen, die Öffnungszeiten verkürzt. „Stärkung durch Straffung“ heißt die Parole, die der Senat für die Bibliotheken ausgegeben hat. Dahinter können sich nur Bibliotheksschließungen verbergen, da es nach Senatsmeinung „zu viele veraltete, räumlich völlig mangelhaft ausgestattete Einrichtungen“ gibt, gerade so, als wären die Defizite von alleine über die Bibliotheken gekommen. Daß es der Bücherei in der Oranienstraße in solchen Zeiten gelungen ist, sich einen Namen – und damit ja auch Identität – zuzulegen, kommt als kleine Rebellion daher.

Die 1864 geborene Bona Peiser, die aktiv an der Bücherhallenbewegung mitgewirkt hat, war die erste Frau in Deutschland, die hauptberuflich – also bezahlt – als Bibliothekarin gearbeitet hat. Für Frauen des Bürgertums gab es nur sehr wenige anerkannte Berufe außer den Lehr- und Pflegetätigkeiten. Bona Peiser mußte den Beruf in England erlernen, da dies in Deutschland nicht möglich war. Deshalb verwundert es nicht, daß die von ihr geleitete Bibliothek in der Rungestraße im heutigen Bezirk Mitte lange Zeit die einzige Möglichkeit für Frauen war, praktische Erfahrung als Bibliothekarin zu sammeln. Sie unterstützte und förderte die Arbeit ihrer Kolleginnen, gründete 1907 die „Vereinigung bibliothekarisch arbeitender Frauen“ und kritisierte, daß Männer die Schaltstellen des Berufs dominieren.

PionierInnen und VisionärInnen sind auf allen sozialen, kulturellen und politischen Ebenen heute so notwendig wie vor hundert Jahren. Daran soll mit der Namensgebung erinnert werden, die übrigens mit dem 30. Jahrestag der Bibliothek zusammenfiel. Bona Peiser hoffte, daß der breite Zugang zu Büchern und Zeitschriften denkende Menschen schaffe. Gerade im Zeitalter der audiovisuellen Dominanz erhalten die antiquiert anmutenden Bibliotheken aber wieder eine neue Funktion, weil sie Meinungsvielfalt bieten, ohne zwischengeschaltete Moderatoren und Kommentatoren. Waltraud Schwab

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