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■ Lido-KinoErste europäische Zauberkugeln fliegen

Regression ist kein Ausdruck dafür, was bereits nach wenigen Tagen Filmfestival mit einem jungen Menschen passiert. Stets in zwielichtiger Halbschräglage fängt man an, zum Trüffelschwein zu mutieren, um möglichst elegant mit 181 Filmen fertig zu werden. Ansonsten geht es ums Essen: Nierchen hier, Muscheln dort, Tintenfische allerorten.

Andere, wie Herr Jack Nicholson, mutieren zum Wolf unter Yuppie-Wölfen. Mike Nichols' mit großem Tusch aufgefahrener Werwolffilm „Wolf“ startet aber so bald in Deutschland, daß wir Ihnen hier einstweilen nur den Mund wässrig machen wollen (Essen!): In allerhand tiefblauen Vollmondnächten ereignen sich Metamorphosen, die früher in die Verrohung geführt hätten, aber heute einen mittleren Angestellten hoch über die dumpfe Wadenbeißerei der innerbetrieblichen Konkurrenten hinausheben. Nicholson gab hier eine Pressekonferenz, nach der man ihn gern mit zu den Langusten genommen oder ihm zumindest ein kleines Öhrchen abgeknabbert hätte. Nicht einmal der Adjektiv-Salat, der ihm ständig vorgesetzt wird – „Herr Nicholson, Sie sind so sardonisch-diabolisch-zynisch“ – konnte ihn daran hindern, höchst dolce-soave nach allen Seiten zu lächeln und zu plaudern: „Ach ja? Metaphorisch finden Sie das mit dem Wolf? Wir haben uns eigentlich nur an das gehalten, wie so etwas tatsächlich vor sich geht, so eine Verwandlung, wissen Sie?“ Wie er sich seinen Erfolg erklärt? „Och, ich hatte eben Glück mit meinen Regisseuren und ich habe wundervolles Haar.“

Der größte Routinier, was Pressekonferenzen und Talkshows angeht, ist wohl Tom Hanks, den sie zuletzt als HIV- Mann in „Philadelphia“ gesehen haben. „Forrest Gump“, der Film über einen leicht minderbegabten Fußballer-Kriegshelden-Millionär kehrt den „Zelig“-Effekt um: Während Woody Allen noch am Beispiel seiner Chamäleonfigur über die Mechanismen der jüdischen Assimilation in Amerika sinnierte, verwandeln sich in „Forrest Gump“ die Präsidenten, denen Gump die Hand schüttelte, flugs in Imbezile. Mit dem debilsten Lächeln der Welt empfiehlt der per Computeranimation wiederbelebte Richard Nixon dem Fußballer Gump ein hübsches Hotel in Washington. Es heißt Watergate. Wie immer in diesen mit Neid zurückblickenden Tagen erscheinen die Sixties als der Höhepunkt der Konformität, nicht die Fifties. Als Gump in Washington von Abbie Hofman auf eine Bühne gezerrt wird, um den Kommilitonen von seinen Vietnam- Erfahrungen zu erzählen, fällt das Mikrofon aus. Der Beifall ist trotzdem enorm – weil Abbie es so will. Hanks ist imstande, auf der Pressekonferenz glaubhaft zu versichern, das wichtigste an Forrest Gump wie an allen seinen letzten Filmen sei der Moment, in dem die Protagonisten sich für einander, für echtes Commitment entschieden hätten. Ein Trüffelschwein, wer Böses dabei denkt.

Was den europäischen Film angeht, fliegen inzwischen die ersten Zauberkugeln. „The Magic Hunter“ von der ungarischen Regisseurin Idlikó Enyedi versucht, Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ mit einer modernen Snyper-Geschichte zu verbinden: Ein Profikiller verliert sein Talent und geht einen Pakt mit dem Teufel ein, der ihm sieben Wundergeschosse schenkt, die alle treffen; nur bei dem siebten wählt der Teufel sein Ziel selbst ...

„Der Stier“ von Carlo Mazzacurati erzählt die ganz handfeste Pikareske vom Klau eines Preisstieres, der nur künstlich besamen darf (das allerdings mit vierhundert Ladungen pro Tag, meine Herren) und den ein nicht weniger stierhafter Arbeitsloser entführt, um ihn ausgerechnet nach Kroatien zu bringen. Neben dem Ritt übers Bürgerkriegsterritorium klingt sanft die Erinnerung an das Mädchen Europa an, das auf den Schultern des Stieres Zeus verschleppt ward ... Mariam Niroumand

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