Chirac bricht als erster das Schweigen

In Frankreich hat die heiße Phase des Wahlkampfes begonnen / RPR-Chef will Präsident werden / Parteifreund Balladur wohl auch / Die Grünen haben sich nochmals gespalten  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Madame und Monsieur Dupont ahnten es schon lange: Jacques Chirac will auch dieses Mal wieder versuchen, Präsident von Frankreich zu werden. Schließlich hat der Dauerbürgermeister von Paris und Chef der größten französischen Partei, der konservativen RPR, seit 1981 keine Gelegenheit ausgelassen, für das höchste Staatsamt zu kandidieren — und außerdem könnte die Wahl im Mai 1995 die letzte Chance des ambitionierten Mittsechzigers sein. An diesem Wochenende nun bestätigte die Parteispitze die seit Monaten brodelnde Gerüchteküche: „Jacques Chirac“, sagte der Generalsekretär der RPR und gegenwärtige Außenminister Alain Juppé vor dem Jugendkongreß der Neogaullisten in Bordeaux, „weiß, daß wir ihm folgen.“ Die ZuhörerInnen verstanden. Sie sprangen auf, sangen die Marseillaise und skandierten: „Chirac, président“.

Mit der Erklärung während der traditionellen Sommeruniversität beendete Juppé die politische Sommerpause und brach ein selbstverordnetes Schweigen, das eigentlich bis Januar währen sollte. „Wir wollen unsere Arbeit nicht schon vorher lahmlegen“, hatte er, genau wie andere konservative Politiker, noch vor Wochenfrist verkündet. Jetzt, da die Katze aus dem Sack ist, hat die heiße Phase des Wahlkampfs begonnen — acht Monate vor dem Urnengang.

Chirac selbst mochte sich nicht zu seiner Kandidatur bekennen. Er beschränkte sich darauf, die Ovationen in Bordeaux mit Gewinnerlächeln entgegenzunehmen und die „Einheit“ seiner Partei zu beschwören. Nebenbei hob er seine eigene Rolle bei der Ernennung des gegenwärtig populärsten französischen Politikers, Regierungschef Edouard Balladur, hervor. Der Haken an der Männerfreundschaft: Edouard Balladur ist ebenfalls RPR-Mitglied und strebt ebenfalls das höchste Amt im Staate an. Auch er hat sich dazu bislang nicht öffentlich bekannt, aber für Monsieur und Madame Dupont ist das seit Monaten klar. Einige MinisterInnen schlugen ihn schon im vergangenen Jahr als den idealen Nachfolger für den Sozialisten François Mitterrand vor, der im Mai nach vierzehn Amtsjahren abtreten wird.

Der Kampf zwischen Chirac und Balladur, die in den siebziger Jahren gemeinsam für den damaligen Präsidenten Georges Pompidou arbeiteten, ist notorisch. Politisch sind die beiden Neogaullisten schwer zu unterscheiden — eher schon in ihren Arbeitsstilen. Während der joviale Chirac den radikalen Bruch mit vielen Elementen der alten Politik propagiert, plädiert der distinguierte Balladur, der in den letzten Monaten mit einigen Reformversuchen scheiterte, für den behutsamen Wandel.

In der Regierung — einer Koalition aus RPR und der liberalen UDF — sind die Loyalitäten zwischen den beiden Kandidaten in spe gespalten. Nach dem Bekenntnis von Außenminister Juppé und anderen zu Chirac dürfte die Zusammenarbeit im Kabinett in den nächsten Monaten noch schwieriger werden. Ein gleiches gilt für die RPR, die nun zwischen den beiden Elefanten lavieren muß. Trotz aller Aufrufe zur Einheit mag derzeit niemand ausschließen, daß es 1995 zwei RPR-Präsidentschaftskandidaten geben könnte. Schließlich war das 1981 auch so — und beide verloren.

Lachende Dritte sind die französischen SozialistInnen (PS), die nach ihrer Serie von Wahlniederlagen sonst eigentlich nicht viel zum Schmunzeln haben. Auf ihrer Sommeruniversität warnten sie am Wochenende vor dem „gefährlichen Haß“ zwischen Chirac und Balladur. Einen eigenen Kandidat oder eine Kandidatin freilich haben die SozialistInnen nicht vorzuweisen. Im Gespräch sind weiterhin der vielfache Wahlverlierer Michel Rocard und der gegenwärtige Präsident der Kommission der Europäischen Union Jacques Delors.

Überhaupt nicht verschwiegen gründete am Wochenende der Umweltschützer Antoine Waechter eine neue Ökopartei. Die „Unabhängige Bewegung der Umweltschützer“ soll denjenigen eine neue politische Heimat bieten, denen die bis vor Monaten von Waechter mitgeführten „Grünen“ (Les Verts) zu links geworden sind. Das verschwinden kleine Ökolager ist damit noch tiefer gespalten. Bei den Europawahlen im vergangenen Juni blieben die damals noch zwei Parteien — Les Verts und Génération Ecologie — gemeinsam unter fünf Prozent.

Siegesgewiß geben sich die Rechstextremen von der „Front National“. Unbeirrt von dem Austritt eines prominenten Führungsmitgliedes und von der parteiinternen Kritik an Neonazis im Umfeld der Spitze, wiederholte Chef Jean- Marie Le Pen am Wochenende die Kandidatur seiner Front.

Die große Unbekannte sind die neuen populistischen Formationen rechts und links der Altparteien. Bei den letzten Wahlen bekamen die „Großen“ — RPR, UDF und PS — zusammen gerade noch ein Drittel der Stimmen. Sollte sich das 1995 wiederholen, könnten Chirac und Balladur alt aussehen.