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Gemäßigte Extreme und Human Touch

■ Musikfest-Eröffnung mit Paul Dessaus Oratorium „Hagadah shel Pessach“

Es sag' noch einer, bei Klassik-Konzerten gibt es nicht zu kucken. Ein kleines Mädchen der Hamburger Alsterspatzen, daß im zweiten Teil des Paul-Dessau-Oratoriums Hagadah shel Pessach ganz zum Schluß eine Strophe des Tanzliedes „Kleines Lamm“ zu singen hatte, amüsierte mit seinen rührend nervösen Gesten und Blicken zu den im 2. Rang befindlichen Verwandten die ganze Musikhalle. Damit illustrierte das Mädchen ungewollt den Human Touch, das Volksnahe, das sich Paul Dessau für seine Kompositionen als Ausdrucksmittel vornahm. Sein monumentales Werk sah er als Vermittlung zwischen Volkskunst und Hochkultur, als integratives Moment einer neuen Volkskultur.

Entsprechend beließ der in Hamburg geborene und Anfang des Jahrhunderts bei der Oper und den Kammerspielen beschäftigte Komponist die Basis seines Oratoriums nach Texten von Max Brod betont schlicht und gerade rhythmisch und verwendete ansonsten verstärkt Themen aus Filmmusik, Volkslied und Rezitativ. Dennoch vermied er bei dem 1934-36 im Pariser Exil verfassten Stück, das zur Eröffnung des letzten Hamburger Musikfestes von Gerd Albrecht und den Philharmonikern uraufgeführt wurde, sowohl die plaktive Melodik populärer Musik als auch die Hinwendung zur tonalen und rhythmischen Radikalität, wiewohl er beide Pole andeutete.

Dennoch führten die nicht ausgereizten Extreme – trotz dreier Chöre und zehn Solisten – oft zu einem Verlust an Farbigkeit und Spannung. So blieb es den Chorpassagen vorbehalten, dem marschorientierten und tutti-reichen Orchestertreiben die emotionalen Kontrapunkte zu liefern. Wobei diese insbesondere im ersten Teil im Sinne der eisensteinschen Film-Methodik der Masse als Protagonist eingesetzt wurden und selbst größtes Leiden mit emphatischer Diktion vortrugen.

Das knapp zweistündige Werk über den Auszug der Juden aus Israel, eine symbolische Darstellung der Vertreibung der Juden aus Deutschland durch die Nazis, weist zwar Züge musikalischer Auseinandersetzung mit jüdischer Musiktradition auf, bleibt aber im Wesentlichen ein Werk moderater Moderne, das schwerlich seinen Weg ins Repertoire finden wird.

Übrig blieb schließlich die Frage, ob die Ausstaffierung der Hamburger Alsterspatzen im Stile von FDJ-Pionieren eine suggestive Kritik an Dessaus Tun als DDR-Staats-Komponist darstellen sollte, oder schlicht aus hochkultureller Gedankenlosigkeit geschah?

Till Briegleb

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