: Szenario für eine autofreie Stadt
Neues Buch zum Berliner Verkehr: Der Abschied von der Autopolitik wäre nicht nur bezahlbar – sondern billiger / Autor Wolf schlägt Zehnjahresprogramm vor / 650 Kilometer Tramnetz ■ Von Dirk Wildt
Die Verkehrswende in Berlin ist nicht nur bezahlbar – sie ist deutlich billiger als die autofixierte Politik der Großen Koalition. Dies ist das Ergebnis einer 30.000 Mark teuren Studie, die der Verkehrsexperte Winfried Wolf im Auftrag der PDS-Fraktion erarbeitet hat. Er hat unter Berücksichtigung der Vorschläge etwa der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) oder des Fahrgastverbandes Igeb ein Zehnjahresprogramm erarbeitet. Nach diesem Programm sollte der U-Bahn-Neubau sofort gestoppt, das S-Bahn-Netz auf das Niveau von 1961 gehoben und die Straßenbahn in den Westteil verlängert werden. In Wolfs Szenario werden 450 Kilometer Tram-Gleise verlegt: die Strecken im Ostteil von 200 auf 250 Kilometer verlängert, im Westteil 400 Kilometer neugebaut.
Er bilanziert die Kosten für den drastischen Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs in den kommenden zehn Jahren auf 33 Milliarden Mark – fast die Hälfte dessen, was der Senat für seine Verkehrsprojekte aufwenden will: 63 Milliarden Mark. Wenn man berücksichtige, daß die Folgekosten des Autoverkehrs kaum quantifizierbar seien, sagte Wolf letzte Woche bei der Vorstellung seines neuen Buches „Berlin – Weltstadt ohne Auto?“, könne sich die Stadt „eine Politik des Trends“ nicht leisten. Der Senat müßte von dem teuersten Ausbau aller Nahverkehrsmittel, der U-Bahn, dem unsinnigen Ausbau der Wasserwege, den Mammutprojekten im Tiergarten, dem Aus- und Neubau von Flughäfen Abschied nehmen.
In seinem Verkehrsszenario fordert Wolf, durch sein Buch „Eisenbahn – Autobahn“ bekannt geworden, daß der öffentliche Nahverkehr künftig 50 Prozent mehr Fahrgäste bedient. Mit Bus und Bahn sollen in Berlin jährlich 1,7 Milliarden Fahrten geleistet werden. Das sind immer noch weniger, als im Jahr 1929 in – dem damals größeren – Berlin an Fahrgästen gezählt wurde. Die wichtigste Rolle fällt der S-Bahn und Straßenbahn zu.
Neben den üblichen Argumenten für eine moderne Tram – wie leises Fahren, erschütterungsfreies Gleisbett, bequemes Einsteigen – würden die Berliner Verkehrsbetriebe auch wieder in die Gewinnzone gelangen, glaubt Wolf. Denn die Betriebskosten seien deutlich niedriger als bei U-Bahn und Bus. Straßenbahngesellschaften hätten dort, wo sie eine führende Position im Verkehrsmarkt inne hatten, in der Regel Gewinne eingefahren, Busse rechneten sich selten, U-Bahnen nie. Der Bau und Betrieb unter der Erde sei zu teuer.
Neben einer Belebung der Stadt durch die Tram soll dieses Verkehrsmittel auch den Vorteil haben, den Gegebenheiten der Bebauung zu folgen – anstatt der „Manie des Planers“, der A und B im Keller der Stadt mit einer Geraden zu verbinden sucht. Trambahnen orientieren sich automatisch an den Bedürfnissen der Anwohner und Arbeitenden und derjenigen, die Besorgungen machen. Das Gerücht, daß die U-Bahn schneller ist, trifft erst bei Entfernungen von mehr als zehn Kilometern zu, schreibt Wolf. Denn durch die häufigeren und überirdischen Haltepunkte der Tram sei diese schneller zu erreichen als versteckte U-Bahnhöfe. Auch bei dem Alternativ-Szenario mit 650 Kilometer Straßenbahn ist das Tramnetz in der Innenstadt nicht so dicht wie 1929, als die Straßenbahn praktisch durch jede Straße fuhr. Doch durch das Bündeln von Linien eine Seitenstraße weiter ergeben sich Umsteigemöglichkeiten. Im Außenbereich ist das Netz deutlich erweitert, um die am Stadtrand in beiden Teilen der Stadt entstandenen neuen Siedlungsgebiete anzuschließen. Die verhältnismäßig vorbildlich, aber doch nicht perfekt, erschlossenen Neubaugebiete im Ostteil sollen ebenfalls besser angebunden werden.
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