: „Notwendigkeit zur Einmischung“
■ UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo eröffnet / Butros Ghali spricht von Toleranz – aber nicht für Kritiker der Bevölkerungspolitik
Kairo (AP/AFP/taz) – Von Toleranz und Verantwortungsbewußtsein sprach UN-Generalsekretär Butros Ghali, als er gestern in Kairo vor 15.000 Delegierten die UN-Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung eröffnete. Toleranz gegenüber Kritikern von Bevölkerungspolitik und Familienplanung meinte der Generalsekretär freilich nicht.
Vielmehr sei „Einmischung“ notwendig, um das Bevölkerungswachstum zu stoppen. „Diese oder jene Glaubenshaltung“ dürften den Fortschritt der Menschheit nicht behindern. Jetzt schon lebten 80 Prozent der Bevölkerung in den am schwächsten entwickelten Regionen – wenn niemand eingreife, werde sich diese Situation weiter verschlechtern. „Wie können wir den in der UN-Charta geforderten sozialen Fortschritt erreichen, wenn jeden Tag 377.000 Menschen geboren werden?“ fragte der Generalsekretär. Rhetorisch. Denn nicht darum, wie der soziale Fortschritt erreicht werden kann, geht es in Kairo, sondern wie die Geburtenraten gesenkt werden können.
Die Generalsekretärin der Konferenz, Nafis Sadik, begrüßte bei der Eröffnung die Anwesenheit der pakistanischen Premierministerin Benazir Bhutto. Bhutto kam als einzige Regierungschefin eines islamischen Staates persönlich nach Kairo. Die bangladeschische Regierungschefin Khaleda Zia und die türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller hatten abgesagt. Libanon, Saudi-Arabien, Sudan und Irak boykottieren die Weltbevölkerungskonferenz.
US-Vizepräsident Al Gore stellte bei der Eröffnung die Position der US-Regierung zum Thema Schwangerschaftsabbruch klar. Die USA würden sich nicht dafür einsetzen, ein universelles Recht auf Abtreibung einzuführen. Es müsse jedoch für alle der Zugang zu Maßnahmen der Familienplanung ermöglicht werden. Gore war im Vorfeld der Konferenz von Vertretern der katholischen Kirche wegen seiner liberalen Haltung zum Schwangerschaftsabbruch kritisiert worden.
Der Sprecher des Vatikans, Joaquin Navarro, dementierte in Kairo, daß Rom und der Islam möglicherweise einen „Pakt“ geschlossen hätten, um die Bevölkerungskonferenz zum Scheitern zu bringen. Es gebe keine „Heilige Allianz“, wies Navarro entsprechende Presseberichte zurück. Das Ziel des Vatikans sei es, in Kairo an einem „konstruktiven Dialog“ teilzunehmen.
Deutschland wird bei der Weltbevölkerungskonferenz durch Delegationen von zwei Ministerien, sieben Organisationen und beider Kirchen vertreten sein. Darunter ist auch die Professorin Charlotte Höhn. In von der taz veröffentlichten Äußerungen hatte sie bemängelt, daß man heute nicht mehr sagen dürfe, daß Afrikaner eine geringere Intelligenz hätten als andere. Aus dem Innenministerium war gestern nicht in Erfahrung zu bringen, ob Höhn trotz ihrer Äußerungen in der Delegation verbleiben werde. Seite 9
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