■ Kommentar: Schuldgefühl
Es könnte ja sein, daß in dem Moment – in dem sich ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde durch das GAL-Plakat beleidigt fühlt; in dem ein Innensenator seine Klage einreicht; in dem ein Staatsanwalt ein Plädoyer hält; in dem eine Richterin ein Urteil wegen Verunglimpfung des Staates fällt – daß in diesem Moment ein Ghanaer in Accra, ein Iraner in Teheran, ein Kurde in Istanbul gefoltert wird und stirbt.
Es könnte auch sein, daß dieser Mensch zuvor in Deutschland Asyl beantragt hatte, aber abgeschoben wurde. Alles formaljuristisch ganz korrekt. Aber ein Irrtum eben, den niemand ausschließen kann, angesichts einer Asylgesetzgebung, die das Rechtsprinzip des „in dubio pro reo“ auf den Kopf stellt: Im Zweifel wird abgeschoben.
Auch dann, wenn nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden kann, daß diese Entscheidung dieselbe Folge haben kann wie ein Brandanschlag: Den Tod eines Flüchtlings.
Es könnte ja sein, daß genau dieser Gedankengang einem Bürokraten, einem Behördenleiter, einem Senator, einer Richterin durch den Kopf geht, wenn sie die inkriminierte Karikatur der GAL betrachten. Die Satire hätte dann ihr Ziel erreicht: einen kritikwürdigen Sachverhalt auf ihren negativen Kern zu reduzieren.
Und der negative Kern der deutschen Asylgesetzgebung und der daraus resultierenden Abschiebepraxis ist nun einmal, daß sie unter Umständen tödlich ist.
Sich und anderen dies bewußt zu machen, sei es in Form satirischer Zuspitzung oder einer Dienstanweisung, ist verdienstvoll. Sich statt dessen beleidigt zu fühlen, die Kritiker zu verklagen, ihnen Maulkörbe umzuhängen, zeugt vielleicht von Kleinkariertheit.
Vielleicht aber auch von latentem Schuldbewußtsein gegenüber den wahren Opfern des neuen Asylrechts.
Uli Exner
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