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„Dazu bist du zu blöd“

■ Welt-Alphabetisierungstag: 150.000 BremerInnen können keinen Scheck ausfüllen

„Ich arbeite im Imbiß, früher war es schwer. Ich konnte nicht an die Tische gehen. Weil ich nichts aufschreiben konnte. Damals hatte ich Angst, daß ich die Bestellung nicht behalte. Heute kann ich an die Tische gehen. Ich kürze die Wörter ab. Zum Beispiel: 1 Curry P.M.. Das heißt: Eine Curry Wurst mit Pommes-Frites und Majonäse.“ In noch etwas ungelenker Schreibschrift hat Inge aus Bremen diese Geschichte aufgeschrieben. Daß sie das überhaupt konnte, verdankt sie einem der Volkshochschulkurse „Lesen und Schreiben von Anfang an“ – denn Inge gehörte zu jenen schätzungsweise bis zu 150.000 BremerInnen, die weder lesen noch schreiben können.

Analphabetismus – das war, so wollte man hierzulande lange glauben, ausschließlich ein Problem der Dritten Welt, das in den hochindustrialisierten Ländern nicht vorkommt. Erst Ende der 70er Jahre wurde der heutige, von der UNESCO eingeführte „Weltalphabetisierungstag“ auch in Deutschland mit Aktionen begleitet. Nach Schätzungen der UNESCO sind 0,75 Prozent bis drei Prozent der erwachsenen Deutschen davon betroffen; das heißt, daß zwischen 600.000 und vier Millionen Menschen in diesem Land nicht lesen und schreiben können. Der Anteil der ausländischen Analphabeten ist dabei noch nicht mitgerechnet.

Der Einkaufszettel bleibt ebenso wie die Speisekarte ein Buch mit sieben Siegeln, Plakate sind bunt und sonst nichts, Zeitungen gerade mal als Unterlage zum Schuheputzen zu gebrauchen, Behördenformulare sind ohne Hilfe kaum zu bewältigen, und die Unterschrift wird aus dem Gedächtnis gemalt wie andere Leute einen Baum – für jemanden, der lesen und schreiben kann, ist das Leben eines Analphabeten kaum vorstellbar. Je weniger Verständnis diesen Menschen entgegengebracht wird, desto bessere Tarnung entwickeln sie: Viele haben kaum Kontakt zu ArbeitskollegInnen, vermeiden Behördengänge und probieren selten etwas Neues aus. Die Angst vor der Entdeckung, denn oft wissen auch die engsten Freunde und Verwandte nichts von der Lese- und Schreibschwäche, wird zur ständigen psychischen Belastung.

Auch wenn ihnen das von der Umwelt oft vermittelt wird: Analphabeten sind nicht einfach zu blöd, um lesen und schreiben zu lernen. Meist spielen schwierige familiäre und schulische Bedingungen – wie Alkoholismus in der Familie, häufige Lehrerwechsel, Schläge und Nichtbeachtung, zu große Klassen oder Lehrinhalte, die nicht den Erfahrungen von Unterschichtskindern entsprechen – eine Rolle, warum jemand nicht oder nur sehr unvollständig lesen und schreiben gelernt hat. Manchmal waren die Gründe Nichtseßhaftigkeit, häufiger Ortswechsel oder eine längere Erkrankung während der ersten vier Schuljahre.

Die Volkshochschule und das Bildungswerk der Katholiken bieten in Bremen kostenlose Kurse Alphabetisierungskurse an: rund 100 TeilnehmerInnen werden pro Jahr allein an der Volkshochschule gezählt. Anhand von Alltagsschriftstücken – sei es ein Wahlzettel oder ein Scheck – wird das Lesen und Schreiben geübt. Neben den Alphabetisierungskurses können auch Kurse wie „Rechnen für Anfänger“, ein Kochkurs oder ein Technikkurs für Analphabeten belegt werden.

Und vielen wird es erstmal so gehen wie diesem Teilnehmer: „Ich hatte Angst herzukommen“, sagt er. Und: „Meine Frau mußte mit mir gehen. Jetzt macht es mir Spaß.“ skai

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