piwik no script img

SS-Runen als „herkömmlicher Zustand“?

■ Neonazi-Anwalt Rieger vor Gericht / Ein Kampfanzug hält warm

Grinsend betritt Jürgen Rieger gestern mittag den überfüllten Verhandlungssaal des Blankeneser Amtsgerichtes, umringt von Pressefotografen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Neonazi-Anwalt vor, am 12. April vorigen Jahres bei Reinbek im tarnfarbenen Kampfanzug einen VW-Militärkübelwagen mit Abzeichen der 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“ und SS-Runen gesteuert zu haben.

Den Sachverhalt gibt Rieger unverblümt zu. „Ich habe den im Schrottzustand aus Polen bekommen. Wir haben ihn restauriert und in den herkömmlichen Zustand versetzt.“ VW habe ihm bestätigt, daß dieses Fahrzeug 1944 an die 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“ ausgeliefert worden sei. Herkömmlicher Zustand heißt für Rieger, daß natürlich auch die Embleme der SS-Einheit nicht fehlen dürfen. Rieger: „Ich hab jetzt einen DDR-Grenzwagen gekauft, da ist auch das DDR-Wappen noch drauf. Da wird sich keiner drüber aufregen.“ Für ihn seien das „historische“ Fahrzeuge: „Ich will ein Museum aufmachen.“

Eine Werbung mit verbotenen verfassungsfeindlichen Emblemen sieht er nicht. Er habe zwar zunächst originalgetreu SS-Runen auf das Nummernschild gemalt, dann aber mit Rostfarbe einen Balken darüber gezogen, „damit kein falscher Eindruck entsteht.“

Nahezu vertraulich plaudert der 48jährige, der sich selbst verteidigt, mit Amtsrichterin Inge Marks über die Geschichte der Panzerdivision („wurde erstmals in der Normandie und dann bei der Ardennen-Offensive eingesetzt“) und über die Gestaltung der Divisionsabzeichen. Die Richterin attestiert dem Neonazi-Anwalt Sachverständigen-Qualitäten. Wissen möchte sie aber doch, warum er einen Kampfanzug trug. Antwort: „Es war damals kalt und der hält warm“.

Am späten Nachmittag ergreift Staatsanwalt Dietrich Klein das Wort. Für ihn sei es egal, ob Rieger einen Balken über die SS-Runen gezogen habe. „Auf den Eindruck kommt es an“, so der Ankläger, der sich auf ein Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts beruft. Die Verwendung von SS-Divisionsabzeichen sei verboten, weil dies eine Kriegsverbrecherorganisation gewesen sei.

Klein versucht, Rieger Verbindungen zur Nationalen Liste (NL) nachzuweisen, denn auf der Reinbeker Spritztour war in einem anderen Fahrzeug (Opel Blitz) NL-Chef Thomas Wulff mit von der Partie: Wehrsportübung? Es bleibt bei einer Vermutung, und Klein schließt mit der Forderung: 24.000 Mark Geldstrafe.

„Es ist nicht strafbar, vier Balken zu setzen“, kontert Rieger. „Sonst wäre ich damit nicht im Straßenverkehr gewesen.“ Danach zückt Rieger ein Urteil des Bundesgerichtshofes zum Thema „Hakenkreuz“. Tenor: Nicht auf den Eindruck käme es an, sondern ob tatsächlich ein verfassungswidriges Emblem gemalt worden sei. Riegers Plädoyer: Freispruch.

Amtsrichterin Inge Marks wird am Mittwoch das Urteil verkünden. Bis dahin wird sie wohl noch schlaflose Nächte haben.

Kai von Appen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen