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La Vespa Vita

■ Neu im Kino: „Liebes Tagebuch“ von Nanni Moretti / Auf dem Soziasitz bei einem liebevollen Fahrer mit Sonnenbrille und Schutzhelm zu genießen

Diesen Film kann man so luftig und frei genießen wie eine Fahrt auf der Vespa durchs sommerliche Rom. Dazu nimmt der Regisseur Nanni Moretti die Zuschauer nämlich im ersten Drittel seines gefilmten Tagebuches mit. Er selbst fährt mit Sonnenbrille und dickem Sturzhelm auf dem Kopf durch die verschiedenen Straßen und Viertel der Stadt, und für lange Passagen folgt ihm dabei einfach die Kamera (offensichtlich mit dem Auto) während er erzählt, was ihm so zu Italien, dem Kino oder den Massensiedlungen am Stadtrand einfällt. Er ist ein bißchen närrisch, dieser Vespafahrer: einem wildfremden Autofahrer erzählt er an einer Ampel „etwas Trauriges“ und weil er „Flashdance“ so toll fand, fragt er tanzende Frauen, ob sie nicht zufällig Jennifer Beals seien. Aber dann trifft er die Schauspielerin tatsächlich einfach so auf der Straße – und sie erklärt ihm, nachdem sie ihn etwas irritiert ansieht, daß er nicht gerade verrückt, aber etwas daneben, eben sehr „speziale“ sei. Mit diesen Worten beschreibt sie auch gleich seinen Film – der frei den ganz persönlichen Assoziationen von Moretti zu folgen scheint. Wenn ihm die Idee kommt, daß er vielleicht mal einen ganzen Film lang nur Häuserfassaden drehen will, dann zeigt er sie uns einige Minuten lang. Wenn er sich über die gewaltverherrlichenden Filmkritiken eines Journalisten ärgert, dann sitzt er schon an dessen Bett und liest sie ihm laut vor, während dieser sich vor Schmerzen windet. Eine lange Kamerafahrt lang führt er uns nur (begleitet von Keith Jarretts Piano) zu der Stelle, an der Pasolini ermordet wurde. Moretti ist ein phantasievoller Stromer, von dem man sich gerne die Lieblingsecken seiner Heimatstadt zeigen läßt.

Im zweiten Teil besucht er die äolischen Inseln, um in Ruhe an seinem Film arbeiten zu können, aber überall holt ihn und seinen intellektuellen Freund das moderne Leben ein. Eine Insel wird von Einzelkindern beherrscht, die andere von einer professionellen Animateurin und der fernsehverachtende Freund, (der immer ein vernichtendes Zitat von Enzensberger parat hat) wird in Rekordzeit süchtig nach Seifenopern. Hier wird der Rhythmus des Films etwas ruhiger, und Moretti führt die modischen Absurditäten in komische Extreme, die an die Filme von Jacques Tati erinnern.

Zum Beginn des letzten Drittels versichert Moretti dem Zuschauer, daß daran nichts mehr erfunden sei. Er zeigt uns die Unmengen an Rezepten und Medikamenten, die er im Laufe eines Jahres von all den Ärzten verschrieben bekam, die versuchten, die Ursache seines extremen Juckreizes zu finden. Ganz sachlich führt Moretti eine Realsatire über Fachidioten vor – eher durch Zufall wird nach einem Jahr mit den verschiedensten Diagnosen und Behandlungen ein Tumor entdeckt und erfolgreich behandelt. Hier beweist Moretti endgültig, daß er nur scheinbar so frei und unordentlich vor sich hin erzählt, denn dieser lange und ernste Schluß kann nur in der Balance zum spielerischen Beginn funktionieren. So zieht die Krankheitsgeschichte nicht herunter – der Zuschauer bleibt den ganzen Film über auf der Vespa sitzen. Mit viel Sonne, Poesie und einem liebenswerten Fahrer.Wilfried Hippen

Cinema, tägl. 21.15 Uhr

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