: Kassenpatienten werden zur Kasse gebeten
■ Der kassenärztliche Bereitschaftsdienst bekommt am 15. September eine private Konkurrenz / Krankenkassen wurden nicht kontaktiert und reagieren ablehnend
Der Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung bekommt private Konkurrenz. Vom 15. September an bietet ein „Privatärztlicher Notdienst Berlin“ nachts und am Wochenende rund um die Uhr Hausbesuche an. Wie Geschäftsführer Tammo Bialas gestern erläuterte, will der „Arzt Notruf“ mit der Telefonnummer 19242 schneller beim Patienten sein als die Ärzte der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Statt der dort üblichen Wartezeit von zwei Stunden sollen die Ärzte des privaten Anbieters schon nach einer halben Stunde eintreffen. Und sie wollen sich mehr Zeit für den Patienten nehmen, „mindestens eine halbe Stunde“.
Für Kassenpatienten hat die Sache nur einen Haken: Sie müssen die Kosten selbst tragen. Und das kann teuer werden. 200 Mark kostet ein durchschnittlicher Einsatz tagsüber, nachts 300 Mark. Das Angebot ist ein weiterer Schritt zur Zweiklassenmedizin. Während die privaten Krankenkassen nach Auskunft ihres Verbandes die Kosten übernehmen, zeigten sich die gesetzlichen Kassen gestern überrascht und ablehnend.
Weder bei der AOK noch bei der DAK oder dem Verband der Angestelltenkrankenkassen (VdaK) kannte man die Firma. „Die haben sich nie bei uns gemeldet“, stellte der VdaK-Vorsitzende Karl-Heinz Resch fest und bezeichnete das Vorgehen des Unternehmens als „dubios“. „Normalerweise tritt man doch vor dem Start in Vertragsverhandlungen.“ Er befürchtet, daß Kassenpatienten in einer Notlage „über den Tisch gezogen werden“. Anrufer werden zwar darauf hingewiesen, daß Pflichtversicherte die Kosten selbst tragen müssen, aber ob das in der Aufregung beim Patienten ankommt, ist die Frage. „Die wollen bei den Patienten abzocken“, befürchtet Resch. Wenn dort Vertragsärzte im Einsatz seien, könnten sie auch über Krankenschein abrechnen. Dann könnten sie allerdings nicht den 2,3-fachen Gebührensatz kassieren.
Eine Kostenerstattung kann man sich bei der AOK gar nicht, bei der DAK „nur im Ausnahmefall“ vorstellen. Die Techniker- Krankenkasse ist bereit, den freiwillig Versicherten den üblichen Kassenbetrag zu erstatten. Den Differenzbetrag müssen auch sie selbst bezahlen. Da ist es wenig vertrauenerweckend, wenn Geschäftsführer Bialas gestern Pflichtversicherte ermutigte, die Rechnungen bei ihrer Kasse einzureichen und dort auf Kulanz zu hoffen.
Kritik muß sich das neue Unternehmen auch gefallen lassen, weil der Name Verwirrung stiftet. Notdienst suggeriert, daß akute Notfälle behandelt werden. Angeboten werden aber Hausbesuche, wenngleich die 50 Notärzte des Unternehmens auch für den Notfall gewappnet sind. Bei vorher erkennbaren Notfällen verständigt der „Arzt Notruf“ aber ebenso wie der Bereitschaftsdienst der KV die Feuerwehr.
Bei nur rund 10 Prozent Privatversicherten bezweifelt VdaK- Chef Resch, ob sich das Unternehmen tragen wird. Bei der Kassenärztlichen Vereinigung, deren Bereitschaftsdienst häufig Kritik ausgesetzt war, reagiert man gelassen auf die Konkurrenz. Langfristiges Ziel der KV sei, die niedergelassenen Ärzte zu mehr Hausbesuchen und flexibleren Öffnungszeiten zu bewegen. Dorothee Winden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen