: Ein Präsident mit Vergangenheit
■ Frankreichs Staatspräsident François Mitterand ist ins Gerede gekommen: Ein Buch befaßt sich mit seiner Jugend und seiner einstigen braunen Gesinnung
Eine geschlagene Woche hat es gedauert, bis Franois Mitterrands GenossInnen die Sprache wiederfanden. Dann brach – am Mittwoch abend – der Generationenstreit über die braune Vergangenheit des sozialistischen Präsidenten aus. Die Tätigkeit des jungen Mitterrand im Zentrum des Regimes von Vichy und – vor allem – die Treue, die der Politiker selbst den kriminellsten seiner damaligen Freunde bis ins hohe Alter gewahrt hat, erregt vor allem die Parteijugend – „wir sind schockiert, daß er mit René Bousquet, dem Verantwortlichen der Judendeportationen aus Frankreich, eine so enge Freundschaft gepflegt hat“. Die Altvorderen dagegen verbergen sich hinter verständnisvollem Lächeln: „Er ist, wie er ist. Das wissen wir doch.“ Andere mahnen: „Die Linke hat ihm viel zu verdanken.“
Keine Frage, das Buch von Pierre Péan („Eine französische Jugend“) hat eingeschlagen wie eine Bombe. Auf 616 Seiten beschreibt Péan die 13 Jahre aus dem Leben Franois Mitterrands, um die sich die meisten Legenden ranken. Mitterrand selbst hatte sich bislang auf die Mitteilung beschränkt: „Ich war Résistant.“ 1934 bis 1947 – das sind zugleich die dunkelsten Jahre der jüngeren französischen Geschichte, die Zeit starker rechtsextremer und royalistischer Bewegungen, der Volksfrontregierung von Léon Blum, des kurzen, verlorenen Krieges gegen Nazi-Deutschland, des Kollaborateurs-Regimes von Vichy und der heute zumeist als glorreich charakterisierten Strömungen der Résistance.
Péan liefert Fotos, Briefe und Kommentare des jungen Mitterrand. Sie zeigen die rasante Karriere des Sohnes eines Essighändlers aus der Provinz, seinen Weg über rechtsextreme Studentenvereinigungen und das Vichy-Regime, bis hin in die Spitzenkreise der Résistance und des Nachkriegsfrankreich. Mitten im Krieg schaffte es der 27jährige Mitterrand, binnen weniger Monate dem Chef des Vichy-Regimes, Marschall Philippe Pétain, dem Chef der rechten Widerstandsbewegung, General Giraud, und dem Chef der Résistance, General de Gaulle, persönlich zu begegnen – immerhin die drei zentralen und untereinander verfeindeten – Figuren Frankreichs. Nach jenen Begegnungen war Mitterrands politische Zukunft gesichert.
Mitterrand war 17, als er 1934 nach Paris kam, um Jura und Politik zu studieren. Sein konservativer und kirchentreuer familiärer Hintergrund brachte ihn bald in die Nähe rechter Studentenkreise. Er wurde Mitglied der „Nationalen Freiwilligen“, deren Gründer La Rocque die Auflistung „Arbeit, Familie Vaterland“ zugeschrieben wird, die später das Leitmotiv von Pétain wurde. Die Organisation repräsentierte die traditionelle nationalistische, antiparlamentarische und antikommunistische französische Rechte. Faschistisch oder antisemitisch war sie nicht. Privat pflegte Mitterrand auch Kontakte zu Mitgliedern der Cagoule, einer bewaffneten Organisation, die unter anderem im Auftrag Mussolinis mordete. – Nach nur vier Monaten in Paris erschien Mitterrands Konterfei bereits auf den Titelseiten der Zeitungen – als Teilnehmer an einer Demonstration gegen die „Invasion der Fremden“ an der Universität. Nach Literaturartikeln hatte er sein Debut als politischer Journalist im März 1938 nach dem „Anschluß“. „Bis hierher und nicht weiter“, titelte er seinen durch und durch realpolitischen Kommentar über Österreich, das nun „nichts anderes ist, als eine Provinz“.
Nach Kriegseinsatz als Soldat und einer schweren Verletzung geriet Mitterrand in deutsche Gefangenschaft. Noch im unbesetzten Teil Frankreichs beschäftigte er sich weiter mit den Kriegsgefangenen. Die „P. G.“ und die Deportierten, die „vergessenen Franzosen“, waren Mitterrands Fachgebiet als Mitarbeiter von Marschall Pétain in Vichy. Ein Foto auf der Titelseite von Péans Buch zeigt den jungen Mann im Gespräch mit dem Marschall. Von dem Antisemitismus des Regimes von Vichy will Mitterrand nichts mitbekommen haben: „Die Gesetzgebung verfolgte ich nicht.“
1943 ging Mitterrand als Chef einer Widerstandsbewegung ehemaliger Kriegsgefangener in den Untergrund, wo er bis Kriegsende sämtliche politischen Richtungen – Royalisten, Gaullisten und Kommunisten – unter seiner Führung vereinigte. Die Kontakte in den engen Kreis von Marschall Pétain hielt er warm. Daneben baute er neue Informanten in Paris auf. Einer von ihnen war ein direkter Mitarbeiter des damaligen französischen Polizeichefs Bousquet, desjenigen Mannes, der für die „Endlösung“ in Frankreich verantwortlich war. Mitterrand sagt noch heute über Bousquet, der im vergangenen Jahr erschossen wurde und so einem Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit entging: „Er hatte großes Format. Ich habe ihn immer gern gesehen.“ Mitterand, der als Präsident alljährlich einen Kranz auf das Grab von Marschall Pétain legte, hat mit diesem Verständnis von Freundschft „gegen jede Ethik“ der jungen Sozialisten verstoßen. Dorothea Hahn
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