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Wenn der Schnee unterm Reifen knirscht

■ Trotz finsterer Tunnel und hoher Berge: Norwegen-Urlaub per Rad ist auch für Nichthochleistungssportler machbar

Norwegische Sommeridylle: Das Sonnenlicht glitzert auf dem Wasser des Risnefjords, auf grünen Hängen weiden Schafe vor rot-weißen und braunen Bauernhäusern aus Holz. Und dann, fast übergangslos, tauchen wir in vollkommene Dunkelheit ein - ein Tunnel. Wasser tropft von den unsichtbaren Felswänden, es ist empfindlich kalt. Das Licht der Fahrradlampen verliert sich nach wenigen Zentimetern in der totalen Finsternis. Orientierungslos halten wir an: Wo verläuft bloß die verdammte Straße? Lächerliche anderthalb Kilometer nur mißt die schwarze Röhre im Berg, für Autofahrer ein Klacks, für uns Radfahrer endlos lange zehn Minuten. Schließlich die rettende Idee: die Taschenlampe aus dem Gepäck fummeln und zwischen Hand und Lenker klemmen - vorsichtig schlingern wir die nun schwach beleuchteten Fahrbahn entlang dem Tageslicht entgegen.

Unbeleuchtete Tunnel auf Nebenstrecken können für nervenschwache Menschen, deren Räder nur mit den üblichen Dynamos ausgestattet sind, durchaus eine Mutprobe darstellen. Sie völlig zu vermeiden, ist im gebirgigen Norwegen kaum möglich. Einige sind allerdings auch beleuchtet; in andere wiederum darf man ohne Auto gar nicht rein. Weil sie zu lang sind und unbelüftet. In diesem Fall empfiehlt es sich, zeitig Informationen über den örtlichen Nahverkehr einzuholen, um samt Fahrrad das Hindernis per Schiff oder Bus flott zu umfahren bzw. zu durchqueren.

Überhaupt sollten Nichthochleistungssportler die Nutzung von motorisierten Verkehrsmitteln bei einem Norwegen-Urlaub von vornherein einplanen. Das Fahrrad mitzunehmen ist in Bussen, Fähren und Zügen meist problemlos möglich. Und nicht nur wegen nerviger Tunnel sinnvoll: Wo in Norwegen eine Straßenverbindung fehlt, verkehrt statt dessen oft ein Schiff.

Zum Beispiel von Balestrand – jenem traditionsreichen Ferienort am Sognefjord, in dem schon Wilhelm Zwo urlaubte und viele Künstler sich zu Beginn des Jahrhunderts hölzerne Jugendstilvillen errichteten – nach Fjærland. Nach knapp zweistündiger Fährfahrt entlang einsamer Gehöfte und rauschender Wasserfälle sind es zehn Kilometer auf angenehmen Wegen bis zum Suphella-Gletscher, einem Ausläufer des gewaltigen Jostedalgletschers, der seine Eiszunge hier bis auf 50 Meter über NN hinabschiebt. Beim anschließenden Besuch im modernen, auf Erlebnis und Experiment setzenden Gletschermuseum bei Fjærland erfährt man anschaulich Wissenswertes aus dem Innern des Eiskolosses.

Für die Kombination Muskelkraft/Maschine spricht auch, daß man seinen Radurlaub nicht auf möglichst ebene Uferstraßen beschränken muß, sondern sich auch ins Gebirge begeben kann. Zum Beispiel in die Hardangervidda, Nordeuropas größte Hochfläche östlich von Bergen. Als um die Jahrhundertwende 15.000 Männer in jahrelanger Schwerarbeit die Zugverbindung zwischen Oslo und Bergen bauten und sich dabei auch rund 100 Kilometer durch die rauhe Gebirgslandschaft kämpften, dachte natürlich niemand an die freizeitversessenen Menschen heutzutage. Und doch hinterließ die Leistung der „Rallare“ - so wurden die Bauarbeiter genannt - einen der spannendsten Radwege in Norwegen: „Rallarvegen“, die alte Baustraße der Bergenbahn, immer parallel zu den Schienen. Keine glatte Asphaltpiste, sondern ein steiniger Sandweg, zum Teil über 1300 Meter hoch, was von Vegetation und Klima her in den Alpen etwa 1000 Meter mehr entspräche.

Die schönste und bequemste Art, auf die Höhe zu gelangen, ist per Flåmbahn. Diese spektakuläre Nebenstrecke der Bergenbahn wurde erst 1940 eröffnet und gilt als Meisterleistung der Konstrukteure: Auf nur knapp 20 Kilometern Länge schraubt sich der Zug vom Aurlandfjord aus auf über 800 Meter Höhe und bietet den Reisenden atemberaubende Aussichten auf schneebedeckte Berge, nahezu senkrechte Abhänge und tosende Wasserfälle. Auf dem kargen baumlosen und auch im Sommer noch mit großen Schneeflecken und zugefrorenen Seen bedeckten „Fjell“ (Gebirge) angekommen, wechsle man in den Zug Richtung Oslo bis Hallingskeid (1100 m) oder auch Finse (1222 m) dem höchstgelegenen Bahnhof Nordeuropas.

Ein Hotel, einige Wohnhäuser und die Finsehytta, das Übernachtungshaus des norwegischen Touristenvereins, gruppieren sich locker um das Stationsgebäude am Finse-See, in dem auch im Juli große Eisschollen treiben. Der Hardangergletscher schiebt wenige Kilometer entfernt einen Ausläufer, „Blåisen“ (blaues Eis), wie eine mächtige Pranke auf die Hochebene. Wer hier oben das Rad besteigt, um auf dem Rallarvej nach Voss oder Geilo zu holpern, muß damit rechnen, sein bepacktes Gefährt von Zeit zu Zeit durch größere Flächen harschigen Altschnees schieben zu müssen. Was, sofern das Wetter schön ist, die Norweger nicht davon abhält, ihrem eigenen Sonnenkult zu frönen und dies im Bikini zu tun – im Rucksack sicherheitshalber die Langlaufskier, falls sich irgendwo das Umsteigen vom Rad auf die Bretter lohnt.

Der Rallarvej ist in seinen schönsten Abschnitten Fuß- und Radwanderern vorbehalten, höchstens ein vorbeiratternder Zug unterbricht den ruhigen Genuß der Hochgebirgslandschaft oder stört die Begegnung mit einem Lemming. Allerdings: Völlige Einsamkeit herrscht hier nicht. In der kurzen Hochsaison pilgern ganze Familien samt Baby im Hänger und Hund an der Leine den Weg entlang, die historisch bedeutsame Strecke wird immer mehr zur Touristenattraktion. So daß die Bewohner eines der wenigen Häuser unterwegs sich ein Schild „Café“ malten und mittels Kaffeemaschine und Waffeleisen den Reisenden zur Erfrischung und sich selbst zum Nebenverdienst verhelfen.

Claudia Hönck

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