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„Wir sind nicht glücklich über dieses Gutachten“

■ AKW Krümmel bleibt abgeschaltet / Leukämie-Studie kümmert Anwohner kaum

Seit mehr als 100 Jahren ist Krümmel bei Geesthacht ein Synonym für Sprengstoff: 1865 gründete Alfred Nobel hier seine Schießpulverfabrik, zwei Jahre später soll er hier das Dynamit erfunden haben. Seit den 50er Jahren sorgen das GKSS-Forschungszentrum und das Kernkraftwerk für politischen Sprengstoff: Die gestern veröffentlichte Studie über ein erhöhtes Leukämierisiko in der Nachbarschaft des Kernkraftwerkes aber löst in Geesthacht kaum mehr dramatische Reaktionen aus. Trotz einer gewissen Angst: „Die Leute haben sich daran gewöhnt“, bringt Bürgermeister Paul Meyn aus der Gemeinde Marschacht die Stimmung auf den Punkt.

Marschhacht und Tespe auf der niedersächsischen Elbseite sowie Geesthacht mit den Ortsteilen Krümmel und Grünhof-Tesperhude liegen im fünf Kilometer-Radius des seit 1984 unter der Regie der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) betriebenen Kernkraftwerkes Krümmel. Hier sollen nach der Studie des Bremer Institutes für Präventionsforschung in den letzten zehn Jahren bei Erwachsenen 78 Prozent mehr Leukämiefälle aufgetreten sein als im Durchschnitt der angrenzenden Landkreise. Die Ursachen dafür sind noch unklar.

Das abgeschaltete Kraftwerk sollte nach Reparaturarbeiten ursprünglich noch im Spätsommer wieder in Betrieb genommen werden. Jetzt will Energieminister Claus Möller (SPD) über ein Wiederanfahren erst dann entscheiden, wenn die Fachkommission des Landes die Studie abschließend bewertet hat. Die Experten kommen am Freitag nächster Woche zusammen, am Dienstag beraten Umwelt- und Sozialausschuß des Landtags in einer gemeinsamen Sondersitzung über die Leukämiestudie.

Die entscheidende Frage lautet, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen möglichen Emissionen aus dem Kraftwerk und dem erhöhten Blutkrebs-Risiko besteht. „Wenn sich bestätigt, daß eine Kausalität nicht nachzuweisen ist, müssen wir nach dem Atomgesetz rechtlich prüfen, ob das Kernkraftwerk gegebenenfalls wieder ans Netz genommen werden muß“, erklärte Möller.

Vor einem Jahr bereits hatte die Die Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake in einer – in der Fachwelt umstrittenen Studie – die These vertreten, daß es in den achtziger Jahren ungenehmigte Freisetzungen von Edelgasen aus dem Kernkraftwerk gegeben habe (taz berichtete). Als Zeitpunkte gab sie September 1983, August 1984, September 1986 und Mai 1988 an. Sie verwies dabei auf Bodenmessungen, die erhöhte Radioaktivitätswerte ergeben hätten. Die Strahlenbelastungen seien kurzzeitig so hoch gewesen, daß sie Leukämie auslösen könnten, hieß es in der Studie. Die HEW hatten erklärt, in Krümmel sei zu keiner Zeit erhöhte Radioaktivität freigesetzt worden.

„Wir sind über die Ergebnisse der Studie selbstverständlich nicht glücklich. In jedem Fall wird das Image der Stadt beschädigt“, bedauert Geesthachts Bürgermeister Peter Walter (SPD). Er warnt aber eindringlich vor einer zu schnellen Beurteilung durch Politiker. „Nun soll die Expertenkommission erst einmal eine Bewertung vornehmen“. Die Bevölkerung sei zwar „betroffen“, aber es werfe sie nicht um: „Wir leben mit dem Risiko Kernkraft schon lange“.

Sven Bardua / smv

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