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Kupons gegen Kommunisten

In Tschechien leiteten die Rechtsparteien mit der Kuponprivatisierung erfolgreich eine nicht ganz liberale Reformierung der Wirtschaft ein  ■ Aus Prag Jiri Vancura

Bildete die Tschechische Republik im postkommunistischen Archipelagos eine rechte Insel, so wäre das eine rechte Ironie der Geschichte. Denn die tschechische Gesellschaft war schon zwischen den Weltkriegen eher linksgerichtet und die Entwicklung in den Nachkriegsjahrzehnten hat diese Tendenz noch verstärkt. Tschechien war außerdem das einzige Land des sowjetischen Blocks, in dem die Kommunistische Partei in demokratischen Wahlen nach dem Zweiten Weltkrieg breite Unterstützung erhielt. Der kommunistische Umsturz 1948 ging mit aktiver Hilfe eines großen Teils der Bevölkerung vonstatten.

Erst seitdem Ende der fünfziger Jahre die Enttäuschung immer stärker wurde und insbesondere durch die gewaltsame Intervention von 1968 wurde die tschechische Gesellschaft vor dem Zerfall des Kommunismus eine Art Schicksalsgemeinschaft im gemeinsamen Interesse. Dennoch hat hier der Kommunismus nie nur mit Mühe und Not seine Herrschaft aufrechterhalten.

Die Ansicht, daß die Gesetze, die das kommunistische Regime zu einer verbrecherischen Herrschaft erklärten, dazu geführt haben, daß „rechts“ in Tschechien heute als sympathisch, „links“ dagegen als extrem verdächtig gilt, mag im Ausland eine ausreichende Erklärung sein, in der Tschechischen Republik selbst ist sie es aber keinesfalls.

Statt dessen ist der Hauptgrund für den Aufschwung der Rechtsparteien der heutigen Regierungskoalition, daß es ihnen vor den Wahlen 1992 gelungen war, rechte Politik mit Marktwirtschaft und linke mit einem Abbremsen der Wirtschaftsreformen zu identifizieren. Und es waren nicht nur abstrakte Thesen, die die Mehrheit der Wähler überzeugten: Auf sechs, nach der zweiten Ausgabewelle auf zwölf Millionen Privatisierungskupons prangt die Unterschrift des damaligen Finanzministers und heutigen Regierungschefs Václav Klaus.

Die sogenannte „Kuponprivatisierung“ hat den Kuponbesitzern Aktien übereignet, denen das in die Milliarden gehende Vermögen der früheren Staatsbetriebe gegenübersteht. Für einen eher symbolischen Preis konnte so jeder erwachsene Bürger Besitzer eines Vermögens werden, das häufig dem Zehnfachen eines durchschnittlichen Monatslohns entsprach. Trotz aller Härten, die die Wirtschaftsreform mit sich brachte, war und ist das ein leuchtendes Beispiel konsequenter Wohlstandspolitik, die noch dazu unzweifelhaft ihr rechtes Etikett verdient.

Beispiele erfolgreicher Politik, die der Mehrheit der Bürger imponierte und sie der Rechten in die Arme trieb, gibt es noch mehr: Es waren die Rechtsparteien, die für eine Trennung von der „wankelmütigen und undankbaren Slowakei“ und die Teilung des Staates eintraten. Dazu kommen unbestreitbare marktökonomische Erfolge: Tschechien hat eine stabile Währung, die Inflation ist im Vergleich zu anderen postkommunistischen Ländern erstaunlich niedrig, die Arbeitslosigkeit hält selbst einem gesamteuropäischen Vergleich stand.

Ein wichtiger Faktor für ihren Erfolg ist auch die anscheinend absurde Linkslastigkeit der rechten Regierung. Niedrige Mieten werden vor marktwirtschaftlichen Einflüssen geschützt, der Drang, große, unrentable Staatsbetriebe, die schwer absetzbare Produkte herstellen, am Leben zu erhalten und Preise staatlich zu regulieren, beruhigen zwar die Öffentlichkeit, erregen aber den Widerspruch wirklicher Liberaler.

Eine bedeutende Rolle spielt auch der überwältigende gesellschaftliche Optimismus. Obwohl die Mehrheit der Bürger in den letzten fünf Jahren materielle Einbußen hinnehmen mußte, glaubt sie doch, daß es sich dabei nur um ein verübergehendes Phänomen handelt und die Probleme im Grunde privater Natur sind, an denen der Einzelne selbst schuld ist. Die meisten vertrauen darauf, daß sie später einmal selbst aus eigener Kraft erfolgreich und reich sein werden.

Doch es gibt auch einiges, was dieses Bild stört: Der Antikommunismus, der noch vor zwei Jahren überall anzutreffen war und eine Art Buße für die eigenen Sünden darstellte, ist zu einem vernachlässigbaren, leeren Begriff geworden. Die Kuponprivatisierung wurde zwar allgemein begrüßt, war aber nur ein einmaliger Akt. Niemand glaubt, daß die künftigen Dividenden die eigene wirtschaftliche Lage tatsächlich entscheidend ändern können. Eher muß man mit negativen Folgen einer solchen Kapitalaufsplitterung für die Volkswirtschaft rechnen – damit, daß die Industrie von einer kleinen Schicht von Financiers und vor allem von großen Banken beherrscht werden wird.

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