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Der bemalte alles

■ Die Hamburger Deichtorhallen zeigen die erste Retrospektive auf Keith Haring, dessen Graffiti-Stil weltweit vermarktet, aber als Kunst nur zaghaft anerkannt wird

Als der amerikanische Graffiti-Künstler Keith Haring im Februar 1990 in New York an den Folgen von Aids starb, war er vor allem in Europa bekannt. Besonders deutsche, aber auch japanische Galerien und Museen hatten seine Neo-Pop-Werke in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. Nach seinem Tod nahm Harings Popularität noch zu – vor allem durch die intensive Vermarktung der Graffiti und „Tags“ auf Armbanduhren und Kalendern, Puzzlespielen und Kugelschreibern. In Amerika allerdings verhalten sich vor allem die Verantwortlichen in den Museen der Massenkunst Harings gegenüber skeptisch. Das soll nun eine erste Retrospektive ändern, die bezeichnenderweise in Europa beginnt. Stefan Koldehoff sprach in New York mit den Haring-Nachlaßverwaltern Julia Gruen und David Stark.

taz: Ursprünglich war die Ausstellung nicht für Hamburg, sondern für Tübingen geplant. Warum der Ortswechsel?

Julia Gruen: Von Götz Adrianis Absage für Tübingen haben wir erst durch einen Anruf der taz erfahren. Man will dort mit den Einnahmen der Cézanne-Ausstellung lieber die Kunsthalle umbauen als Haring zeigen.

Was macht die nach Hamburg gewechselte Ausstellung wichtig?

Julia Gruen: Die Retrospektive wurde vom Kurator für Kunst des 20. Jahrhunderts des Guggenheim- Museums, Germano Celant, konzipiert. Die Perspektive, die er dem Werk gibt, ist einzigartig. Auch wenn die Karriere von Keith Haring nur zehn Jahre dauerte, gibt es doch sehr unterschiedliche Perioden. Unter den Tausenden von Grafiken und Hunderten von Zeichnungen und Gemälden, die unsere Stiftung aus dem Nachlaß besitzt und aus denen die Ausstellung zu 80 Prozent besteht, sind auch Werke, die Keith zwischen seinen jährlichen Verkaufsausstellungen für sich allein schuf. Das meiste davon war noch nie zu sehen: Sie werden neben dem poppigen Massenkünstler mit den sicheren, flüssigen Strichen, den starken Farben und der typischen Ikonographie einen in ganz intimen Linien und fast farblos zeichnenden Haring entdecken, der sehr ernsthaft in sich gekehrt arbeitete.

David Stark: Viele Sammler und Kritiker haben in Keith Haring bloß Popcorn und Fast food gesehen. Er selbst hielt Lesungen und setzte sich mit Alechinsky oder Dubuffet auseinander.

Ist es nicht viel zu früh für eine bewertende Retrospektive, die zum Ziel hat, Haring zu etablieren und die Diskussion über sein Werk abzuschließen.?

Julia Gruen: Ich denke, das Gegenteil trifft zu. Nachdem Keith vor fast fünf Jahren starb, waren wir alle ungeduldig, seine Werke hängen zu sehen. Denn in der Zeit unmittelbar nach seinem Tod waren wir down, still und traurig. Irgendwann wurde uns bewußt, daß das Werk nirgends mehr zu sehen war. Wir saßen damit nur in Lagerräumen – das war nicht genug.

David Stark: Als Keith noch lebte, war er eine Mediensensation. Sein Output war unglaublich, er reiste um die ganze Welt, schuf Hunderte von Kunstwerken und wußte, daß sein Tod bevorstand. Danach schlossen sich natürlich viele Türen, denn den großen Selbstpromotor, der durch die Medien solch eine hohe Aufmerksamkeit erreichte, gab es nicht mehr.

Warum verhält sich die amerikanische Kunstöffentlichkeit nach wie vor so zurückhaltend?

Julia Gruen: Vor allem die Kritiker und die Museen waren sehr schwer zu überzeugen. Keith hat zu Lebzeiten nicht geschafft, ihnen beizubringen, daß das, was er machte, Kunst war. Deshalb gab es – außer in den Galerien – hier keine Ausstellungen. Ganz anders in Europa: Dort nahmen die Museen Keith sofort auf. Die Europäer haben eine viel längere Geschichte, in der sie lernen konnten, verschiedene Kunstformen zu umarmen. Sie stellen nicht so viel in Frage und sind eher bereit, sich auf Kunst einzulassen.

David Stark: Hier in Amerika wollen die Menschen erst wissen: Ist das Kunst? Ist das wertvoll? In Europa akzeptieren sie erst und stellen später in Frage.

Die Fälle Mapplethorpe und Sturges legen eher die Vermutung nahe, daß im prüden Amerika die Bildinhalte den Ausschlag geben und nicht die Form ...

Julia Gruen: Keith selbst hat immer bemerkt, daß die nackten Menschen und die Penisse in seinen Werken für die Öffentlichkeit in der Regel dann in Ordnung gingen, wenn sie nur cartoonähnlich gezeichnet waren. Trotzdem haben wir nie erlebt, daß jemand mit einem schwarzen Klebeband etwa Flächen abdecken wollte. Zensur hat es nur im ansonsten Haring- verrückten Japan gegeben, wo selbst die Abbildung von Schamhaaren verboten ist. Dort durften wir die von Keith entworfenen Kondometuis nur ohne Inhalt einführen. Jemand mußte sich beim Zoll hinsetzen und überall die Kondome rauspulen. Wir haben uns hinterher überlegt, daß die Dinger für die Japaner wahrscheinlich sowieso zu groß gewesen wären.

Was soll sich durch die Retrospektive ändern?

Julia Gruen: Wir alle hoffen natürlich – und sind entsprechend nervös –, daß die Show auch nach Amerika kommen wird.

Ins Guggenheim-Museum?

David Stark: Wer eins und eins zusammenzählt, kann natürlich herausfinden, wohin die Reise gehen könnte. Man muß übrigens sehr genau unterscheiden zwischen den Museen und dem Publikum: Auch hier in den USA würden die Menschen Keith' Kunst am liebsten aufessen. Sie beten sie als Massen- und Popkultur geradezu an. Deshalb war ja in den ersten Jahren nach seinem Tod unser großes Problem, daß wir hier in Amerika außer in den Galerien nirgends ausstellen konnten. Was die Museen angeht, müssen wir jetzt abwarten. Die Verantwortlichen sind vor allem mit Blick auf die Presse unsicher, ob sie eine Keith- Haring-Ausstellung annehmen dürfen, weil sie sich der Kritik aussetzen könnten, damit eine massenwirksame Blockbuster-Ausstellung zu zeigen. In ganz New York ist kein Haring-Werk öffentlich zu sehen. Das Bild, das wir dem Museum of Modern Art gestiftet haben, hängt dort im Depot. Deshalb sind wir sehr dankbar für die fantastische Aufnahme, die Keith' Werk in Europa erfährt.

Präsent war Haring aber trotz fehlender Museumsausstellungen: in Wahrenhäusern auf T-Shirts, Buttons, Armbanduhren, Spielzeug, Kalendern. Haben Sie damit selbst das negative künstlerische Bild von Haring gefördert, das Sie nun revidieren müssen?

Julia Gruen: Das stimmt. Die Sache ist uns zeitweise völlig aus dem Ruder gelaufen. Vor allem die Zahl der Verkaufsstellen hatten wir uns ganz anders vorgestellt. Inzwischen achten wir mit Hilfe verschiedener Copyrights und eingetragener Warenzeichen streng darauf, daß nur von uns autorisierte Produkte in den Handel kommen. Trotzdem haben wir noch immer mehr Probleme mit gefälschten Haring-Produkten als mit gefälschten Werken. Keith selbst hat das ja auch so gewollt, das war seine Idee: Jeder Mensch sollte es sich leisten können, ein Stück von Keith Haring besitzen zu können. Und mit den Einnahmen unterstützen wir kommunale Kinder- und Aids-Organisationen in New York – nicht die großen.

David Stark: Wenn wir mit dem Merchandising aufhören, verlieren wir nicht nur einen großen Teil des Einkommens der Stiftung. Die Arbeiten erreichen so Menschen, die nie ins Museum gehen.

Die Preise für Originale sind unterdessen in schwindelerregende Höhen gestiegen. Selbst kleine Zeichnungen sind unter 18.000 Dollar kaum mehr zu haben. Steuert die Stiftung diese Entwicklung?

Julia Gruen: Wir stiften oder verkaufen Werke ausschließlich an Museen oder an absolute Top- Sammler. Wir beliefern nicht die Auktionen von Christie's oder Sotheby's: Was dort zu inzwischen tatsächlich sehr hohen Preisen verkauft wird, stammt von dritter Seite. Und wir geben, wie Keith es getan hätte, Grafiken an Aids-Benefiz-Auktionen wie die der Aktion „Leuchtfeuer“, die im Oktober in Hamburg stattfinden wird.

Wird es einen Werkkatalog geben?

David Stark: Frühestens in fünf bis acht Jahren. Keith hat zu Lebzeiten sehr sorgfältig all seine Werk dokumentiert und fotografieren lassen. Aber es gab auch sehr viele Zeichnungen, die er Leuten schenkte. Er signierte und bemalte ja bewußt fast alles, was man ihm unter die Nase hielt.

„Keith Haring“. Deichtorhallen Hamburg, bis 13. November 1994. Katalog: 260 Seiten mit 150 Sw.- und Farbabbildungen. Verlag Charta, Milano, 49 DM

Zur Ausstellung erscheint im Prestel-Verlag „Nina's Book of Little Things“ mit 70 von Keith Haring gestalteten Seiten zum Bemalen und Bekleben. 34 DM

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