piwik no script img

Krebskranke am AKW Krümmel

Unveröffentlichte Studie berichtet über ein um 78 Prozent erhöhtes Leukämierisiko für Anwohner des Atommeilers in Schleswig-Holstein  ■ Aus Kiel Kersten Kampe

Die Krebsgefahr in unmittelbarer Nähe des Atomkraftwerks Krümmel bei Geesthacht ist auch für Erwachsene viel größer als in anderen Regionen. Dies ist das Ergebnis einer vertraulichen Studie des Wissenschaftlers Eberhard Greiser vom Bremer Institut für Präventivforschung und Sozialmedizin, über die die ARD-Tagesthemen am Donnerstag berichteten. „Bei einer Analyse der Daten der unter 65jährigen Männer und Frauen findet sich für sämtliche Leukämien in der engsten Umgebung des Kernkraftwerkes Krümmel eine Erhöhung des Erkrankungsrisikos um 78 Prozent“, heißt es in dem Gutachten. Greiser hatte im Auftrag der schleswig-holsteinischen Landesregierung geforscht.

Nachdem in der Elbmarsch eine auffallende Häufung von Leukämie-Erkrankungen bei Kindern festgestellt worden war, versucht eine Fachkommission unter Leitung des Kieler Toxikologen Otmar Wassermann seit 1992 herauszufinden, ob die vermehrten Erkrankungen in Zusammenhang mit dem AKW stehen. Zwischen 1989 und 1992 waren in unmittelbarer Umgebung des Reaktors sieben Kinder und Jugendliche an Leukämie erkrankt. Drei von ihnen sind inzwischen gestorben.

Das AKW Krümmel ist seit über einem Jahr wegen Rissen in den Rohrleitungen stillgelegt. Energieminister Claus Möller (SPD) hatte die Wiederanfahrgenehmigung für den Reaktor für den Spätsommer in Aussicht gestellt. Aufgrund des Gutachtens will Möller nun allerdings das Ergebnis der Fachkommission, die am Freitag nächster Woche das Gutachten berät, abwarten. Ein weiterer Stillstand sei atomrechtlich aber nur durchsetzbar, wenn nachgewiesen werde, daß eine Kausalität zwischen dem Risiko, an Krebs zu erkranken, und dem AKW bestehe, erklärte Möller. Dieser Nachweis aber wird kaum zu erbringen sein. Denn Umweltministerin Edda Müller (parteilos) zitierte Greiser dahingehend, daß sein Gutachten nicht als „Nachweis eines Zusammenhanges zwischen möglichen Emissionen des Kernkraftwerkes und den erhöhten Erkrankungen in der Nähe des Kraftwerkes interpretiert werden“ könne.

Konkret fand Greiser nach Angaben des Kieler Umweltministeriums heraus, daß im Umkreis von fünf Kilometern um das AKW das Krebsrisiko deutlich größer ist als in der Gesamtregion. In den drei Landkreisen Lauenburg, Harburg und Lüneburg erfaßte er von 1984 bis 1993 insgesamt 2.253 Fälle von Krebserkrankungen, darunter 630 Leukämiefälle.

„Unsere schlimmsten Befürchtungen scheinen sich bestätigt zu haben“, kommentiert Jens Kalke von Bündnis 90/ Die Grünen aus Geesthacht. Die Grünen und Mitglieder der Bürgerinitiative „Leukämie in der Elbmarsch“ forderten gestern die sofortige Veröffentlichung der Studie. Ministerin Müller aber verweigert das mit dem Hinweis auf die Beratung der Expertenkommission am Ende nächster Woche.

Für Ende September erwartet der Energieminister das Ergebnis einer weiteren Studie, die die Landesregierung beim Öko-Institut in Auftrag gegeben hat. Die Wissenschaftler untersuchen nach Angaben von Möller im AKW alle Dokumente darauf, ob es unbemerkte Freisetzungen von größeren Mengen Radioaktivität gegeben hat. Die Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake war 1993 aufgrund mehrerer Untersuchungen und statistischer Auffälligkeiten zu dem Ergebnis gekommen, daß es 1986 und 1989 zu zwei ungenehmigten Freisetzungen radioaktiver Edelgase in Krümmel gekommen sein muß. Möller hält dies allerdings für höchst unwahrscheinlich, weil dann sämtliche Überwachungsanlagen nicht funktioniert hätten.

Die niedersächsische Landesregierung hat gestern eine Bundesratsinitiative angekündigt, um die Grenzwerte von AKW-Emissionen auf ein Zwanzigstel des bisher Erlaubten herabzusetzen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen