: Fronten und Hintergründe
■ Neues von den Goldenen Zitronen: „Das bißchen Totschlag“
Als sie anfingen, galten die Goldenen Zitronen als Funpunk-Vertreter. Einige werden sich erinnern: 1984 war das wichtige Jahr, „1977“ lange vorbei. Eine neue Sorte „Punk“ konnte daher vermeintlich nur musikalischen Bratzkram und Text-Komik meinen. Funpunk stand damals aber nicht für angestrengtes Lustigtum sondern für neue Aufgaben.
Die Goldenen Zitronen hatten von Anfang an eine klare, manchmal dogmatisch präzise Vorstellung von diesen Aufgaben. Ihre Version vom „Tag, als Thomas Anders starb“ fand 1985 als Anschlag auf den Allgemeingeschmack Verbreitung. Die Bravo witterte in der Abhandlung über den Sänger des Erfolgsduos Modern Talking staatsfeindliche Frechheit. Für nicht wenige, die Kritik generell seit Jahren in der Pfeife geraucht haben wollten, bedeutete „Thomas Anders“ zu starken Tabak.
„Für immer Punk“ vom Debut-Album Porsche, Genscher, Hallo HSV benutzt das Publikum seit seinem Erscheinen 1987 als Brett vor dem Kopf. Der ironische Abschluß mit der eigenen Vergangenheit hätte für die enthusiasmierten Konzertbesucher auch „Für immer Fernsehen und Pantoffeln“ heißen können. Denn die zwei Worte „Für immer“ nahmen die Zitronen-Fans zum Anlaß, vom Zusammenhalt im Sportverein bis zur stumpfsten Rocktümelei das Lied mit den spackigsten Konnotationen zu beschweren.
Über die Jahre behielt die Gruppe das im Blick, was angeblich immer schwerer zu erkennen war, nämlich Fronten, Feinde und Hintergründe. Deshalb hatte es nichts mit Verfolgungswahn zu tun, 1991 „80.000.000 Hooligans“ in einem Land zu entdecken. Die Signale der applaudierenden Deutschen vor den brennenden Migrantenheimen in Rostock waren eindeutig. Die Zitronen mußten Form und Inhalt wieder zusammensuchen: Wie sieht Gewitztheit aus, und was ist sie wert, wenn ein schäumender Nazi-Mob deine Musik als Taktgeber für die Schritte Richtung Migrantenheim willkommen heißt?
Auf Das bißchen Totschlag, der neuen Platte, versammeln die Goldenen Zitronen dichtgepackt die Themen, die – wie sich früher unbeschwerter sagen ließ – auf der „Straße“ liegen. Schon im Titelstück reiht die Gruppe Fundstücke aus der Berichterstattung über derartige rassistisch-gewalttätige Ereignisse aneinander und stellt sie in Kontraste. Phrasen wie die von den soziologisch verklärten „rivalisierende(n) Jugendbanden“ stehen nahe bei der umgedichteten Version des Johanna von Koczian Hits „Das bißchen Haushalt“ und erklären unterbewußte Verbindungspfade. Der schneidend scharfe Glamrock verleiht dem Text eine Atmosphäre zwischen Lakonie und verlachtem Ausbruch.
Für derartige Zusammenhänge haben sie aber noch weitere Beobachterebenen gefunden, zum Beispiel im Stück „Diese Menschen sind halbwegs ehrlich“. Die Zitronen beschreiben darin, wie sich ein neues Selbstverständnis selbstverständlich breit macht: Daß jemand eine Familie gründet und im Auto durchs Land fährt, kann man niemandem vorwerfen. Es entbindet ihn aber auch nicht von der Vermutung, daß die zwei genannten Beschäftigungen für ihn noch andere, noch nicht so ganz akzeptierte, gewalttätige Handlungen legitimieren, nämlich die Vernichtung fremder Identitäten zum „Schutz“ der eigenen Idylle (Hoyerswerda). Ein musikalischer Schnappschuß zeigt hier jemanden, der auf dem Weg ist, „halbwegs ehrlich“ zu werden. Die Zitronen stellen so Furcht und Elend in der BRD '94 dar.
Kristof Schreuf
Sub Up Rec./EFA
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