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Sexismus im Peterwagen

■ Polizei gesteht: Sexuelle Belästigung im Dienst ist ein Alltagsproblem / Polizeigewerkschaft verabschiedet Maßnahmenkatalog Von Kai von Appen

Lange Zeit war es ein Tabu-Thema und wurde öffentlich nicht diskutiert. Doch nun gibt die Polizei zu: Sexuelle Belästigung von Beamtinnen bei der Polizei ist zum Alltagsproblem geworden. Seitdem immer mehr Frauen in den Polizeiberuf drängen, häufen sich auch die Klagen über frauenverachtende Anmache von Kollegen. Der Hamburger Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat jetzt reagiert und einen Maßnahmenkatalog aufgestellt.

Die Formen sexueller Belästigung bei der Polizei sind – wie auch in anderen Betrieben – vielfältig. Kriminalhauptkommissarin Cordula Albrecht, Ex-MEKlerin und jetzt Polizei-Diplomsoziologin, in einer Schwerpunktausgabe der „Bereitschaftspolizei heute“ dazu: „Die einen fühlen sich belästigt, wenn ihre Kollegen schmutzige Witze erzählen, die anderen mögen keine Nacktfotos zur ,Dekoration' ihres gemeinsamen Arbeitsplatzes.“ Die Anmache reiche von anzüglichen Kommentaren bis zum Busengrapschen, Frauen würden mit der Androhung von beruflichen Nachteilen oder massivem Druck zu sexuellen Kontakten genötigt.

Im Apparat wird das Problem gerne auf die Polizistinnen abgewälzt. Der Polizeipsychologe Al–brecht Zapp beispielsweise: „So läßt sich trefflich darüber streiten, ob denn das Tragen von Ohrringen, langen Haaren oder sonstigen Elementen des Outfits, die den Charakter des Femininen positiv beeinflussen, sich auch im gleichen Maße bei jungen Männern (Polizisten, d. Red.) zur gelungenen Selbstdarstellung eignen.“

Dem widerspricht Cordula Al–brecht: „Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist kein Problem der Frauen, sondern ein Problem der Institution.“ Oft seien junge oder noch in der Ausbildung befindliche Beamtinnen Opfer frauenverachtender Anmache. „Es sind die Neuen auf einer Dienststelle, die erst einmal getestet werden“, so Al–brecht. „Diese Gruppe wird bevorzugt, weil sie die Diensthierarchie noch nicht oder kaum kennt. Die Opfer wehren sich nicht oder nur selten, da sie meist verunsichert sind.“ Sie seien teilweise noch in der Probezeit oder von der Beurteilung der Vorgesetzten abhängig. Viele junge Polizistinnen wüßten auch gar nicht, an wen sie sich wenden müßten. Albrecht: „Oder sie haben Angst sich zu blamieren oder als prüde zu gelten.“

Die Folgen der sexuellen Anmache sind gravierend. Cordula Al-brecht: „Einige der Betroffenen erkranken psychosomatisch, werden tablettenabhängig oder alkoholkrank.“ Es habe Frauen gegeben, die in ihrer Dienststelle über die Belästigung berichtet hätten, und danach vom Täter oder den KollegInnen unter Druck gesetzt worden seien. Albrecht: „Letztlich entziehen sich die Betroffenen dem Problem durch einen Dienststellen- oder Arbeitsplatzwechsel. In der Hoffnung, daß am nächsten Arbeitsplatz derartige Belästigungen nicht vorkommen.“

Hamburger Reviere bilden da keine Ausnahme. Polizistin Anja Mast*: „Von der Polizeischule war ich ja manchen Kraftspruch und frauenfeindlichen Witz gewohnt. Aber was ich auf dem Revier erlebte, schlug dem Faß dann doch den Boden aus.“ Anja Mast erinnert sich an Sprüche wie: „Die hat ja nen knackigen Arsch und geile Beine.“ Oder: „Mit der hätt' ich auch mal Bock auf ne Nacht - die würd' ich bestimmt nicht von der Bettkante schubsen.“ Es gipfelte darin, daß ihrem Kollegen, als es auf Streifenfahrt ging, zugerufen wurde: „Macht die Rückbank nicht dreckig, dann geht doch lieber kurz in den Park.“ Selbst ein Kollege, „der eigentlich ganz in Ordnung ist“, fühlte sich so unter Druck gesetzt („Na, hast Du sie endlich vernascht“), daß er zudringlich wurde. Mast: „Ich habe das aber mit ihm vernünftig klären können.“

Für die Hamburger GdP ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz schon seit längerem Thema. Geschäftsführer Dieter Schöneck: „Wir hatten immer wieder von Fällen gehört und sind diesen nachgegangen, waren aber mit den Ergebnissen sehr unzufrieden.“ Deshalb habe die GdP die Problematik intensiv „aufgegriffen“ und einen Maßnahmenkatalog verabschiedet: „Es kann nicht sein, daß eine Frau, die belästigt worden ist, versetzt wird. Es muß vielmehr sichergestellt werden, daß der Belästiger rausfliegt“, erläutert Schöneck die Kernforderung.

Zudem sollten die Vorgesetzten speziell geschult werden, um männlichen Chauvinismus, Frauenfeindlichkeit und Sexismus frühzeitig zu unterbinden. Schöneck: „Wir müssen erkennen, daß es auch bei der Polizei sexuelle Belästigung gibt. Und diese Erkenntnis muß sich im Apparat durchsetzen.“

*Name geändert

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