■ Scheibengericht: Michael Dubach / Nino Sandow / Max Goldt
Musik wird niemals langsam (Fünfundvierzig/Indigo)
Ähnliches, nur ganz anders. Eigentlich eine Schande, daß man diese Scheibe in den rasenden Plattenbeschauer quetschen soll. „Musik wird niemals langsam“ ist für mich das Seltsamste und Spannendste der letzten Monate, ein genialer Ritt auf dem Bodensee der Adaption und des intelligenten Manierismus. Noch einmal Deutschland im Herbst, gestern und heute. Hier wird – sehr feierlich – der Materialwert von Tradition benutzt, fliegt dem Bürger wieder vom spitzen Kopf der Hut, seufzt Schuberts „Winterreise“, klagen die Romantiker in Moll, gellt das Lachen von Dada, schnarren Weill und Eisler, rollt man das „Rrrrr“ wie Zarah Leander und zittert die Stimme à la Hannes Wader. Hier scheitern zwar nicht die Beschreibungs-, beinahe aber die Interpretationsversuche.
Zu vermelden sind siebzehn Stücke, bei den meisten handelt es sich um Vertonungen von Texten Leonhard Loreks, sechs gehen auf Wilhelm Müller, Ingeborg Bachmann, Heike Willingham und Max Goldt zurück. Die Wahl der Soulmates ist an sich beredt genug – dazu ein Konzertsaal, in dem mit zwei Flügeln, Cello, Keyboards, Pauke, Trommel und Haßstange (sic!) ein bißchen Weltende zelebriert wird, nicht ganz und doch sehr aus diesen Tagen. Die Dekoration ist dunkelschwarz mit roten Blutklecksen, man „weiß nicht mehr“, „sollte ich nach hause gehn zu aldi oder warten“, weiß nicht, „was geschehen ist / ob zukunft oder schicksal“, auf jeden Fall gingen „früher menschen schneller kaputt als uhren“.
Dubach, Sandow und Goldt tappen wie Sensenmänner in italienischem Zwirn durch eine Gegenwart, die plötzlich die vertraute Fremde ist, kommen von „der kunst des vergessens zur werbung“. „Wir ruhn uns aus / für ein reihenhaus“, singen sie, und wieder: Was könnte seltsamer und lustiger sein als diese völlige Verkunstung des Banalen, Absurden und Kraftlosen in Vortrag und Musik, als der verkehrt pathetische Chansongestus von Dubach, in dem es doch immer ein wenig nach Ernst Busch oder auch nur Tobias Ferch riecht – was gruseliger als das Raunen Max Goldts oder der Tenor Nino Sandows klingt. Diese Paraphrase aufs Einverstandensein mit „der sehnsucht nach / einem abflußrohr“, diese rastlosen Wanderer und einsamen Wüsteneien kennt man doch: Hier wird an einem Leichentuch gewebt. Dubach, Sandow und Goldt nehmen dazu, was von früher an Masken übrig ist, und die Symbolik ihrer Textlieferanten, „infarktkonfekt“, „lego zum frühstück“ oder „gefallenen staub“. „Komm, wir gehen armut gucken“, „komm, wir gehen glücklich sein“ – es ist, als könne das Haupt der Gorgo singen.
In der Bibel heißt dieses luzide Schweben zwischen Versteinern und Erwachen erkennen, eine Epiphanie im Augenblick und in diesem Falle der Unbarmherzigkeit des bösen Blicks zu danken. „Das pflaster ist unglaublich hart / wenn einer ausrutscht und fällt“, und wieder: „was soll schon passieren“, wo „wir doch alle fast ein bißchen wie diana ross sind / ein bißchen blutig / ein bißchen schnutig“. Am Ende gibt es, und das ist schon fast zuviel der Zeichen, rund fünf Minuten Raben, Krähen und Böller. Ist man nun „messer oder messerstich“? Das eine kann auch das andere sein. Irgendwer sei allen armen Seelen gnädig.
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