: Religiöse Sensibilität und Wahltaktik
■ Opposition ruft Generalstreik für Neuwahlen in Bangladesch aus
Delhi (taz) – Bangladeschs Oppositionsparteien wollen die Regierung von Premierministerin Khaleda Zia durch den außerparlamentarischen Protest der Straße stürzen. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen in Dhaka hatten die oppositionelle Awami Liga und die Jatiya-Partei des ehemaligen Militärherrschers Hussain Muhammad Ershad am Sonntag einen dreitägigen Generalstreik ausgerufen, der sich gestern auch auf weitere Städte des Landes ausdehnte. Damit soll die Regierung gezwungen werden, Neuwahlen anzusetzen.
Vor bald einem halben Jahr waren alle größeren politischen Parteien des Landes aus dem Parlament ausgezogen, bis auf die regierende „Bangladesh National Party“ (BNP). Diese verfügt über die absolute Mehrheit und konnte daher zahlreiche Gesetze und den Haushalt mühelos durchbringen – ganz verfassungskonform.
Der Parlamentsboykott war von der größten Oppositionspartei, der „Awami Liga“ ausgegangen. Auslöser: Informationsminister Huda hatte deren Vorsitzende Sheikh Hasina bei der Debatte über das Hebron-Massaker in der israelisch besetzten Westbank – bei dem ein jüdischer Siedler zahlreiche Muslime während ihres Gebetes in der Moschee erschossen hatte – als „Neo-Muslim“ betitelt, die plötzlich ihre religiöse Sensibilität entdeckt habe. Sie verlangte eine Entschuldigung, und als diese nicht eintraf, wuchs daraus bald die Forderung nach dem Rücktritt der Regierung und der Bestellung eines neutralen Übergangskabinetts.
Da die Oppositionsparteien für die Wahlen von 1996 Wahlfälschungen befürchten, erklärten sie sich mit der Awami Liga solidarisch.
Zur Verweigerungsfront gehört neben der Awami Liga auch die islamistische Jamaat Islami und die Volkspartei des inhaftierten Ex- Präsidenten General Ershad.
Die Premierministerin macht vorläufig keine Anstalten, der Oppositionsforderung nachzukommen. Wohl auch aus Furcht, bei einer korrekt durchgeführten Wahl die Mehrheit zu verlieren. Bereits ihre jetzige Mahrheit kam nur dank eines Manövers zustande, bei dem die dreißig Frauensitze fast alle an die BNP fielen. Khaleda Zia regiert ohne politische Autorität, und in der Frage der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des bitterarmen Landes bot die Demokratie bisher keine glaubwürdige Alternative zur jahrzehntelangen Militärherrschaft.
Statt durch demokratische Reformen die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, versuchen sich die großen Parteien ideologisch voneinander abzugrenzen. Der Anlaß des Boykotts – die Sorge darum, welche von beiden Frauen nun als bessere Muslimin dasteht – zeigt, daß beide Parteien ihre Fühler in die konservativ-religiöse Ecke ausstrecken – eine Tendenz, die sich in der Behandlung der Taslima-Nasrin-Kontroverse weiter verstärkt hat.
Selbst diese beiden großen Parteien, die ihren Ursprung in einem betont nichtreligiösen Nationalismus haben, nehmen plötzlich die „religiösen Gefühle“ ihrer Mitbürger zur Kenntnis. Bereits die Militärherrscher Zia ur-Rahman und Ershad hatten die verfassungsmäßigen Grenzen zwischen Religion und Staat aufgeweicht. Dies führte zum Eintritt der islamistischen Jamaat Islami in die politische Arena, aus der sie wegen ihrer Kollaboration mit Pakistan im Unabhängigkeitskampf jahrzehntelang ausgestoßen war. Die Bewegung gipfelte in diesem Jahr in der Fatwa gegen die Nasrin und der Forderung nach einem Blasphemie-Gesetz.
BNP und Awami Liga haben sich bisher gegen einen solchen Paragraphen gestellt, aber die Regierung hatte mit dem Haftbefehl gegen Nasrin und der Verhaftung mehrerer Journalisten gezeigt, daß sie mit einem alten Gesetz aus dem Jahr 1891 – es bestraft die „Verletzung religiöser Gefühle “ – ähnliches erreichen kann. Damit bleiben neben Bürgerrechtsgruppen nur noch die Studenten als radikal antifundamentalistische Bewegung übrig. Die Studenten haben allerdings die Politik des Landes entscheidend mitgeprägt und bleiben eine ernst zu nehmende politische Kraft.
Der Parlamentsboykott wird noch um die bittere persönliche Animosität zwischen Begum Khaleda und Sheikh Hasina verschärft. Ihr Ursprung liegt in der Parallelität beider politischer Karrieren begründet – beide Frauen haben das politische Erbe vom Ehemann beziehungsweise Vater übernommen und gegen den Militärherrscher Ershad gekämpft.
Sheikh Hasina hat ihrer Rivalin auch nie verziehen, daß sie die Straffreiheit für die Mörder ihres Vaters, des Staatsgründers Mujibur Rahman, nicht aufgehoben hat.
Die beiden Attentäter leben ungeschoren in Dhaka und haben sich gut abgesichert: Sie besitzen eine Zeitung und haben eine politische Partei, die „Freedom Party“, gegründet. Beide steuern einen sicheren Kurs – sie geben sich radikal islamisch. Bernard Imhasly
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