piwik no script img

Boden der Tatsachen

■ Die Bündnisgrünen in Brandenburg und Sachsen: Wie kam's zur Niederlage?

Haben die Sachsen sich, wie Werner Schulz nach dem Fiasko der Bündnisgrünen lästerte, obrigkeitsergeben den „besseren Staatsratsvorsitzenden“ wiedergewählt? Ist dieses Wahlergebnis nur ein „Armutszeugnis für die Demokratie in Sachsen“, Beleg also der geistigen Verfassung des Wahlvolkes? „Wir wollten Reformen, und wir haben einen modernen Absolutismus bekommen.“ Kornelia Müller, Spitzenkandidatin der sächsischen Bündnisgrünen, hat damit nicht unrecht. Der freie Fall der Bürgerbewegten in die außerparlamentarische Opposition kann aber mit den Emotionen der WählerInnen allein nicht erklärt und mit Wählerschelte schon gar nicht abgetan werden.

Seit dem alarmierenden Ergebnis bei den Europawahlen, innerhalb von dreizehn Wochen, haben Bündnis 90/ Die Grünen in Sachsen etwa 60.000 WählerInnen verloren. Umfrageergebnisse zerbröckelten von anfangs stolzen zehn und mehr Prozent auf den kümmerlichen Rest von 4,1 Prozent, den Landessprecherin Gunda Röstel am Wahlabend sarkastisch als „Boden der Tatsachen“ bezeichnete. Nicht das hochkompetente Wahlkampfteam um die SpitzenkandidatInnen Kornelia Müller und Klaus Gaber hat die Niederlage zu verantworten, sondern zuerst der Landesvorstand.

Wenn Gunda Röstel bedauert, daß zwischen den „starken Polen“ CDU und PDS „kaum mehr Platz für Themen“ geblieben sei, versucht sie, diese bittere Wahrheit zu lindern. Der verheißungsvolle Zuspruch für Grün in Sachsen war nämlich die unmittelbare Folge erklärten Reformwillens des Landesverbandes. Erst mit der von Werner Schulz aufgebrachten Debatte über eine mögliche Koalition mit der CDU begann der Einbruch; das wurde gestern eingestanden. Verhängsnisvoll war nicht das Thema, sondern die Art, wie es gehandelt wurde. Landessprecher Heiko Weigel, der mit Gunda Röstel gestern den Rücktritt erklärte: „Diese Schwarz-Grün-Debatte hat uns innerparteilich überfordert.“ Ein Zurück wäre „nur um den Preis eines Dementi“ möglich gewesen. Werner Schulz wird sich auf der Krisenkonferenz am Samstag fragen lassen müssen, warum er und sein Umkreis die Landespartei auf ein Feld getrieben hat, das vor der Wahl noch gar nicht bestellt zu werden brauchte.

In Brandenburg hatten Bündnis 90/ Die Grünen voll auf die Ökologie gesetzt, doch ihr „ökologischer Politikansatz“, das mußte auch die Spitzenkandidaten und eine der beiden gleichberechtigten Landessprecherinnen, Petra Weißflog, gestern eingestehen, sei den Ostdeutschen nicht vermittelbar. Betroffenheit und Ratlosigkeit überwogen angesichts von 2,9 Prozent Wählerstimmen. Wer mit der Politik Stolpes nicht einverstanden sei, wende sich der PDS zu. Resigniert mußte Petra Weißflog eingestehen, dort seien Ostdeutsche „wohl auch besser aufgehoben“. Die Stasi-Debatte war den Wählern nicht vermittelbar.

„Der Wende-Bonus“, so stellte sie schließlich fest, „ist aufgebraucht, der Wähler erwartet, daß wir uns ernsthaft seinen Problemen zuwenden.“ Politisches Profil und Personen, die es repräsentieren, haben Bündnis 90/ Grüne in Brandenburg kaum zu bieten. Die seit langem schwelenden Konflikte zwischen Mitgliedern aus dem Bündnis 90 und den DDR-Grünen scheinen nach dem Desaster wieder aufzubrechen.

Nicht ohne unterschwellige Kritik an ihren Parteifreunden verwies die aus den DDR-Grünen stammende zweite Landessprecherin, Heike Mortell, darauf, daß fast ausschließlich die ehemaligen Mitglieder des Bündnis 90 in der Öffentlichkeit gestanden hätten, und nun auch diese Niederlage verantworten müßten.

Mit lediglich 500 Mitgliedern ist die Basis in dem dünn besiedelten Flächenland klein. Da scheint die Versuchung groß, sich fünf Jahre nach der Wende wieder in eine gesellschaftliche Nische zurückzuziehen und die eigene Politikunfähigkeit zu kultivieren. „Schon in der DDR“, so Petra Weißflog, „waren diejenigen, die etwas anderes wollten, ein kleines Häuflein gewesen.“ Detlef Krell, Dresden/

Christoph Seils, Potsdam

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen