: Alles vergeigt!
■ Dem „Turtle Island String Quartet“, zur Zeit als Jazz-Animateure in Bremen, auf die zarten Saiten geschaut
Jazz mit dem Geigenbogen, das ist keine ruhige Angelegenheit, bei der alle fünf Minuten mal das Standbein gewechselt wird. Hier legen sich die Streicher voll ins Zeug. Der Schwerpunkt verschiebt sich. Streichmusik wird tanzbar. „Wenn wir die Sachen für uns umschreiben, verwandeln wir uns in die Instrumente hinein. Da muß man ganz am Anfang anfangen. Denn wir suchen immer danach, was Pop und Jazz zu dem macht, was es ist: der Rhythmus.“
Die Musiker vom „Turtle Island String Quartet“, benannt nach dem indianischen Namen für den Nordamerikanischen Kontinent, sind auf Mißverständnisse gefaßt. Das 1985 gegründete Quartett spielt, wie könnte es anders sein: Violine, Bratsche und Cello.
Alles andere als klassisch gestaltet sich jedoch das Repertoire: Miles Davis, Dizzy Gillespie, Gerry Mulligan, Ralph Towner - All that Jazz eben wird zur Zeit bei einem Workshop der Bremer Herbstakademie und am Wochenende im Schlachthof ordentlich vergeigt.
Im großen Übungsraum der Hochschule für Musik werden gerade die Instrumente gestimmt. Unter der Leitung der Jazz-Streicher probt ein aus 10 WorkshopteilnehmerInnen bestehendes Miniorchester „Spider-Dreams“, vom ehemaligen Turtle-Mitglied David Balakrishnan geschrieben. Elke Hille, Orchestermusikerin, ist animiert: „Ich hab noch nie Jazz gespielt und befürchtet, ich könnte das nicht. Aber dieses Frage-Antwort-Spiel ist wirklich ganz einfach.“
Die Vermittlung der Jazz-Techniken und Tricks läuft ganz non-verbal: „Up ,up, up, - down, down, down!“ lauten die spärlichen Kommentare in den Proben. „Don't be too heavy!“ Wenn doch mal die Methode „Musik als lingua franca“ nicht funktioniert, werden die Musiker einfach zum Nachmachen animiert. Hat es dann immer noch nicht gezündet, geben Danny Seidenberg und Tracy Silverman einfach ein kleines Duo, duellieren sich mit den Fideln, wie die Gitarristen einer Rockband.
Ganz neu ist die Idee nicht, schließlich ist der Teufelsgeiger Nigel Kennedy jedem Talkshowpublikum ein Begriff, und die Frontkämpfer in Sachen „Klassik goes Pop“, das Kronos Quartet, beschreiten schon seit 20 Jahren diesen Weg. Ihre gestrichene Version von Jimi Hendrix' „Purple Haze“ ist zum Markenzeichen geworden. Mark Summer, Cellist beim Turtle Island String Quartet, grenzt sich ab: „Kronos spielt mehr gegenwärtige Klassik, wir mehr Jazz. Die improvisieren auch nicht. Wenn die Jazz spielen, dann bringen sie Leute wie Tony Williams, den Schlagzeuger von Miles Davis, rein. Wir dagegen spielen selbst.“
Nun scheint es dem amerikanischen Quartett eh nicht an Selbstbewußtsein zu mangeln, in Sachen Rhythmus und Blues haben sich die Musiker allerdings seit Jahren bewiesen und nun offensichtlich auch auch die Gegenseite von der Abteilung Klassik überzeugt. Denn seit neuestem werden sie zu Musikakademien wie dem Oberlin Conservatory in Ohio eingeladen, um den StudentInnen der klassischen Instrumente den Groove beizubringen.
Aus München ist Georg Koeppen, ebenfalls Musiker und Lehrer für Geige, angereist. Er hat zwar kein Instrument am Hals, beobachtet die Probe aber gespannt: „Wenn die Schüler in die Pubertät kommen, sind sie mit Klassik allein nicht mehr zu halten, weil sie dann Pop und Rock hören. Aber so ein Blues mit dem Rhythmus und dem Groove, den sie hier haben, das kommt schon gut. Da kann man mal zeigen, was in so einer Geige drinsteckt.“
Ob die amerikanischen Jazz-Geiger von diesen Einflüssen auf deutsche Geigenschüler wisssen? Recht ist es ihnen bestimmt.
„Also als Streicher spielt man auf ungeheuer flexiblen Instrumenten, deswegen war die Geige ja all die Jahrhunderte so populär, weil man so ziemlich alles damit machen kann, und sie wahrscheinlich der menschlichen Stimme am ähnlichsten ist.“ Danny Seidenberg läßt beim Turtle Island String Quartet den Bogen über die Geige oder Bratsche hüpfen und hat noch weiter gespannte musikalische Pläne. Hängt er doch eh der Alles-ist-möglich-hauptsache-es-macht-Spaß-Philosophie an und plant für die Zukunft die Potenzieruung des Jazz im Streichquartet: „Ich werde einen Hip-Hop-Version von Jimi Hendrix' „Purpel Haze“ erfinden. Ich bin mir sicher, er würde das gern hören.“ Susanne Raubold
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