: Fünf Roboter-Enten
Virtual Reality und Netzwerke: Neueste Medien auf dem Medienkunstfestival in Osnabrück ■ Von Martin Potthoff
Jedes Jahr im September trifft sich die Experimentalfilm- und Videoszene in Osnabrück. 1981 als „E-Film Workshop“ gegründet, hat sich das Forum seit seiner Umbenennung zum „European Media Art Festival“ im Jahr 1988 zu einem der wichtigsten Kristallisationspunkte europäischer Experimentalfilm-, Video- und Installationskunst entwickelt.
Auch dieses Jahr war es ein weitgefächertes Panorama, das die Veranstalter unter dem Titel „Medienkunst“ präsentierten. Neben den „traditionellen“ Sparten Experimentalfilm, Video- und Computerkunst waren diesmal auch die neu(est)en Medien CD-ROM und Computernetzwerke vertreten. Dabei setzten die Veranstalter gerade auf „die Cross- over-Effekte“, die sich aus der Konfrontation dieser unterschiedlichen Medien ergeben.
Und tatsächlich gab es Ansätze für den Sprung über die medialen Gartenzäune. So hat David Blair sein Video „Wax or The Discovery of TV among the Bees“, das vor drei Jahren mit großem Erfolg in Osnabrück lief, jetzt in der Netzwerk-Version vorgestellt. Als „der erste Film auf dem Internet“ machte das Projekt Ende letzten Jahres in den USA Furore. Blair hat den Film in seine Bestandteile zerlegt und präsentiert ihn nun als Hypertextkatalog von Bildern, Videosequenzen, Tönen und Texten. Die Elemente des Films sind auf vielschichtige Weise inhaltlich miteinander verknüpft und erlauben die unterschiedlichsten Zugangsformen und Rezeptionswege: Auf assoziativen Verbindungslinien, sogenannten „links“, springt man von einem Bild-, Ton- oder Textelement ins andere und erschließt sich auf eigenen Wegen die von Blair geschaffenen narrativ-visuellen Räume.
Um den Cross-over-Gedanken zu untermauern, wurde in diesem Jahr als erste Eigenproduktion in der Geschichte des Festivals eine CD-ROM präsentiert, die Film, Video und Computer miteinander verknüpft. Unter dem Titel „1000 add one frame“ wurden von Heiko Idensen und Matthias Krohn Hunderte von kurzen Filmausschnitten und Multimedia-Clips in Form eines Samplers kompiliert. Ein spannender Aspekt ist dabei der Umgang mit der in jüngster Zeit oft diskutierten Frage des Copyrights im Bereich digitaler Medien. Hier wurden die Autoren aufgefordert, im Sinne eines „pool processings“ auf ihre Urheberrechte zu verzichten: „Die Beiträge auf der CD sind frei verfügbar, wir ermuntern Künstler, dieses Material in der Tradition der „found footage“ für neue Arbeiten zu nutzen“, so Hermann Nöhring, einer der Veranstalter.
Eine Initialzündung für die Entwicklung eines neuen künstlerischen Mediums erhoffen sich die Organisatoren von dem diesjährigen Programmschwerpunkt Datenfernübertragung und Netzwerkkultur. Neben Einführungsworkshops zum Thema Internet und Mailboxnutzung wurden Pionierprojekte präsentiert: Die Berliner Künstlergruppe Handshake stellt bei ihren Arbeiten den Aspekt der interpersonalen Kommunikation in den Vordergrund. Sie versteht das elektronische Netz als sozialen Organismus, der neue Interaktionsformen erlaubt. „Der Gang in die virtuelle Welt des Cyberspace wird oft als Flucht vor der Realität gesehen“, so Joachim Blank, einer der Handshaker. „Wir wollen versuchen, Kommunikation im Netz und in der realen Welt miteinander in Beziehung zu setzen.“
Angefangen hat die Gruppe vor etwa einem Jahr mit Versuchen zu Graphiken, die von verschiedenen Autoren am Computer bearbeitet wurden. Derzeit unterhält sie ein fortlaufend erweitertes Archiv mit Texten zur Medienkunst, dokumentiert Aktionen anderer Gruppen und unterhält einen eigenen IRC (Gesprächs-)Kanal im Internet.
Großer Publikumsresonanz erfreuten sich dieses Jahr die Computer- und Videoinstallationen. Zwei Arbeiten waren geradezu umlagert: unüberhör- und -sehbar war „Hyperscratch“ vom japanischen Künstler Haruo Ishii, ein Techno-Sound-Syntheziser mit Touchscreen-Interface. Der andere Publikumsmagnet war das Virtual-Reality-Projekt „Satori“ von Mario Canali und Marcella Campiones: Mit Cyber-Helm und Joystick ausgestattete Spieler hatten die Gelegenheit, durch ein „digitales Universum“ zu „floaten“ und sich via Intercom über die dort entdeckten „Architekturen und Objekte“ zu unterhalten. Der Reiz des Ganzen lag dabei eher in der sinnlichen Attraktion, die die Bewegung im künstlichen Raum hervorruft, als in der Betrachtung des pixeligen Mobiliars.
Wesentlich witziger und medien-selbstkritischer kam das Projekt von Rena Tangens und Padeluun daher, das den letztjährigen Hype um das Thema „Artificial Life“ auf die Schippe nahm. Fünf satellitenartige, mit Solarzellen und High-Teck-Brimborium ausstaffierte Roboter-Enten stehen auf einer Bühne und „unterhalten“ sich. Frei nach Zufallsprinzip entscheidet sich eine von ihnen, loszuplappern, und stößt ein schnarrendes „wiwiwi“ aus, worauf die anderen im Chor mit „nangnangnang“ anworten. Weiter nichts.
Immerhin eine treffende Persiflage der aktuellen Medien(kunst)diskussion und des inflationären Gebrauchs von medientheoretischen Schlagworten. In Zeiten der vielbeschworenen Datenautobahn gibt es kaum ein elektronisches Medienprojekt, das nicht mit dem Attribut „interaktiv“ geschmückt wird (so auch im Osnabrücker Ausstellungskatalog), obwohl die Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten des Zuschauers oftmals kaum über das bei den heutigen Standard-Massenmedien übliche Maß hinausgehen. Nangnangnang!
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