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Petitionsausschuß: Der Verein der Kopfnicker

■ Freiwillige Unterwerfung unter die Asylpolitik von Ausländerbehörde und Senat

Laut Hamburger Verfassung ist der Petitionsausschuß der Hamburger Bürgerschaft ein parlamentarisches Kontrollorgan, das jeder Bürger für sein Begehren in Anspruch nehmen kann, wenn er meint, ihm sei staatliches Unrecht widerfahren.

Für viele Flüchtlinge und Migranten, denen die Abschiebung droht, ist der Eingabenausschuß der Hamburger Bürgerschaft der vermeintlich rettende Strohhalm. Die 21 Abgeordneten des Ausschusses können die Entscheidungen der Ausländerbehörde überprüfen und im Einzelfall korrigieren, wenn z.B. besondere Härten und Nöte des Petenten eine Ausnahmeregelung zulassen. Sie können es, aber sie tun es nicht, da ihr Dasein im parlamentarischen Kontrollorgan weniger der Logik der Gewaltenteilung folgt, sondern dem Parteibuch und der freiwilligen Unterwerfung unter die Ausländerpolitik der Bundesregierung und des Senats.

Um sich nicht zu lange von Anliegen belästigen zu lassen, für die er sich nicht einsetzen will, hat dieser Verein der Kopfnicker in „Ausländerangelegenheiten“ seiner eigenen Entmachtung zugestimmt. Während Petitionen normalerweise aufgrund schriftlicher Stellungnahmen der zuständigen Behörden geprüft werden, gilt für die von Abschiebung bedrohten Petenten ein beschleunigtes Verfahren: Alle Petitionen über Ausländerangelegenheiten werden an die Ausländerbehörde gefaxt. Diese bestimmt, welche Fälle ins beschleunigte Verfahren gehören und auf welcher Sitzung des Ausschusses sie behandelt werden.

Statt einer schriftlichen Stellungnahme erscheint der Leiter der Ausländerbehörde persönlich als Senatsvertreter und gibt eine mündliche Stellungnahme ab. In der Regel begründet er die Unabwendbarkeit der Abschiebung. Direkt anschließend wird über die Beschlußempfehlung für die Bürgerschaft abgestimmt. Bis auf Ausnahmen schließen sich CDU und SPD unisono der Stellungnahme des Senatsvertreters an. Es kann umgehend abgeschoben werden.

Die Petenten und deren Anwälte werden jedoch erst Wochen später davon in Kenntnis gesetzt. Viele Petenten gehen ahnungslos und im Glauben zur Ausländerbehörde, sie könnten nicht abgeschoben werden, da ihre Petition noch nicht entschieden sei. Weit gefehlt. Sie werden abgegriffen.

Es versteht sich von selbst, daß bei dieser Farce auf die Anhörung von Petenten, ihren Anwälten oder Sachverständigen, die der Stellungnahme des Senats etwas entgegensetzen könnten, verzichtet wird. Man will ja nichts wissen, man will abschieben. Das gewählte „beschleunigte“ Verfahren legt die Funktion des Petitionsausschusses vorab fest: Parlamentarisches Absegnen der Behördenentscheidung statt Prüfung des Einzelfalls.

Einzelfälle sind oft eine vertrackte Angelegenheit- so die Logik im Ausschuß. Sie bergen die Gefahr in sich, daß sie gruppenspezifische Problemstellungen aufweisen, die – hat man sie einmal berücksichtigt – eine „Sogwirkung“ nach sich ziehen. So hatte ein 15-jähriges Kind aus Rumänien am 15. August keine Chance, in Hamburg zu bleiben, nur weil es sein Schicksal mit vielen anderen teilt. Es war seit seinem dritten Lebensjahr in geschlossenen Erziehungsheimen geprügelt, drangsaliert und psychisch zerstört worden. Seine Petition wurde abgelehnt, was ein SPD-Abgeordneter so zu erklären versuchte: „Mit Bauchschmerzen, aber aus Gründen der Generalprävention.“

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