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Am äußersten Ende der politischen Kultur

■ Vier Wochen vor der Bundestagswahl: ein Portrait des Wahlkreises Bremerhaven/Bremen-Nord Von Dirk Asendorpf

Der Osten fängt gleich hinter Bremen an, und zwar im Norden. In Bremerhaven werden BesucherInnen schon am Ortseingang von einem modernen Neubaukomplex empfangen. Doch trotz des Namenzuges auf dem denkmalgeschützten Eingangstor verbirgt sich darin nicht etwa die üppige Verwaltung einer florierenden „Rickmers-Werft“, sondern das Arbeitsamt. Mit einer Erwerbslosenquote von fast 20 Prozent, mit weiter drohenden Arbeitsplatzverlusten in den Restwerften Schichau-Seebeck und Lloyd, mit den immergleichen und immergleich hoffnungslosen Versuchen, dem wirtschaftlichen Desaster mit der Ausweisung von „High-Tech-Gewerbegebieten“ anzuhelfen, gleicht Bremerhaven längst ostdeutschen Städten wie Wismar, Greifswald oder Eisenach.

Doch fast noch schneller als im Bereich der Wirtschaft war der Niedergang der politischen Kultur. Alle Parteien sind davon betroffen. Wer Bremer PolitikerInnen nach Bremerhaven fragt, löst stets den gleichen Reflex aus: Sie schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Im Untersuchungsausschuß der Bürgerschaft ist zur Zeit hautnah zu erleben, daß die Hälfte der politischen Führung Bremerhavens lügt – mindestens die Hälfte.

Nicht nur die SPD, deren hoffnungslose Zerrüttung dabei vorgeführt wird, auch CDU und Grüne haben ihre Spaltungen hinter sich. 1985 war fast die Hälfte der CDU-Fraktion in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung zu Schönhubers Republikanern übergetreten und hatte damit den Grundstein für die bundesweit ersten rechtsextremen Wahlerfolge in Bremerhaven gelegt. Und bei den Grünen hat noch keine Stadtverordneten-Fraktion geschlossen das Ende einer Legislaturperiode erreicht.

Doch das Erstaunliche ist: So sehr es untereinander verhaßt ist, bleibt doch das politische Personal Bremerhavens äußerst konstant. Und über alle Querelen hinweg haben vier Männer über Jahre ihre Parteien in der Hand halten können: Werner Lenz bei der SPD, Michael Teiser bei der CDU, Manfred Richter bei der FDP und Manfred Schramm bei den Grünen.

Während allerdings die Zeit von Werner Lenz nach den internen Parteiwahlen dieses Frühjahrs nun doch zu Ende zu gehen scheint, befindet sich Michael Teiser auf dem Höhepunkt seiner Macht. Als stellvertretender Landesvorsitzender, stellvertretender Fraktionsvorsitzender in der Bürgerschaft, stellvertretender Kreisvorsitzender und Geschäftsführer der CDU in Bremerhaven hat er es als erster Bremerhavener geschafft, den sicheren Platz zwei der CDU-Landesliste für die Bundestagswahl zu erobern. „Früher hatten wir ja immer nur Anspruch auf den ersten aussichtlosen Platz“, sagt er und platzt vor Selbstbewußtsein. Zu seinem taktischen Geschick gehört, daß er sich die repräsentativen Pflichten gerne von Vorsitzenden abnehmen läßt, während er selber als Stellvertreter die Fäden zieht. Seine Ehefrau sicherte unterdessen Teisers Aufstieg als Angestellte im Bremerhavener CDU-Büro vor Intrigen.

Mit 23 Jahren Parteimitgliedschaft ist auch Ilse Janz durch alle Niederungen der Partei-Intrigen gegangen. Doch die Bundestagsabgeordnete hat es in den letzten Jahren verstanden, sich aus dem schlimmsten lokalen Hick-Hack herauszuhalten. „Ich bin die einzige, die noch auf die Geburtstagsfeiern aller verfeindeten Gruppen geht“, sagt sie. Doch an eine Rolle als Schlichterin glaubt sie inzwischen trotzdem nicht mehr: „Wir können nur noch hoffen, daß die Stadtverordnetenfraktion nach der nächsten Wahl anders zusammengesetzt ist.“

In intensiver Kleinarbeit hat Ilse Janz in den vergangenen vier Jahren Kontakte in den Stadtteilen, zu Betriebsräten, Vereinen und Verbänden gepflegt. Sie wohnt in Leherheide, einst bundesweit als Stadtteil mit dem höchsten rechtsextremen Wählerpotential berühmt geworden, und hat dort im Keller eines Wohnblocks ein „Bürgerbüro“ eingerichtet. Daß sie am 16. Oktober das Direktmandat wieder holen wird, bezweifelt in Bremerhaven niemand.

Die größten Sorgen macht sich Ilse Janz denn auch um die Wahlbeteiligung. Bei der Europawahl war sie in Bremerhaven bereits unter 49 Prozent gesunken. Zwar sind Reps und DVU in Bremerhaven angesichts eigener Zerwürfnisse und Politikunfähigkeit wieder zur Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpft, doch das Protestpotential in der Bevölkerung ist dadurch nicht kleiner geworden. „Für uns tut doch sowieso überhaupt keiner was“ ist das resignierte Motto, Wegbleiben von der Wahl die Folge.

Desinteresse hat sich vor der Bundestagswahl aber auch bei Bildungseinrichtungen, Lobby-Verbänden und Vereinen breitgemacht. Niemand hat thematische politische Veranstaltungen organisiert. Nur ein einziges Mal werden die SpitzenkandidatInnen der Parteien bei einer Podiumsdiskussion aufeinandertreffen – organisiert von der lokalen Nordseezeitung. So bleibt es bei Wahlkundgebungen, auf denen pflichtbewußt erschienenes Parteivolk die Mehrheit stellt.

Rudolf Scharping mußte sich an einem total verregneten Sommerferien-Nachmittag in Leherheide mit knapp 300 ZuhörerInnen zufriedengeben, Wolfgang Schäuble brachte es im Saal auf kaum mehr Interesse. Lediglich Gregor Gysi Superstar vermochte, den Bremerhavener Marktplatz zu füllen. „Das ist doch der einzige, von dem sich die Leute was Neues versprechen“, erklärt sich das eine Schülergruppe, die zur Zeit für den „Offenen Kanal“ einen Film über den Bremerhavener Wahlkampf dreht.

Mit zum Wahlkreis 52 gehört Bremen-Nord. Fast genauso groß wie Bremerhaven und in ähnlicher wirtschaftlicher Lage, wird es doch bei allen Parteien von Bremerhavener KandidatInnen vertreten – und entsprechend zweitrangig behandelt.

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