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Autonome und Public Relations

Schneller im Bilde als die Polizei und besser informiert als die Medien: Antifaschistische Initiativen als Frühwarnsystem gegen Neonazis / Mehr Öffentlichkeitsarbeit auch für eigene Aktionen  ■ Von Heide Platen

Der Rundbrief Nr. 1 der „Antifaschistischen Koordination Rhein/Main“ erschien großformatig. Der Kampagnenreader gegen das alljährliche Neonazitreffen zum Todestag von Rudolf Heß am 17. August in Wunsiedel leuchtete zweifarbig und in Hochglanz. Er empfahl Blockaden, „Hausbesuche“ bei Neonazis, Flugblattaktionen vor Schulen, Plakate, Kultur- und Informationsveranstaltungen. Pressekonferenzen und Aktionen sollten in Hessen flächendeckend organisiert werden, zum Beispiel durch Zusammenschluß „mehrerer strukturschwacher Städte und Dörfer“ zu gemeinsamen Unternehmungen. Dazu gehörten in Frankfurt eine MieterInnen- Demonstration und ein Smoke-in.

Der Weg in die Öffentlichkeit ist Neuland für die jüngste Autonomengeneration. Der erste Gehversuch hatte sich „auf Wunsiedel“ konzentriert, soll aber darüber hinausreichen, „von der Reaktion zur antifaschistischen Reaktion“. Beteiligte werten es als ersten Erfolg, „daß die Nazis diesmal in Deutschland nicht marschieren konnten“. Die „Führungskader“ seien fast alle gar nicht aufgebrochen, sondern „zu Hause geblieben“. Der Auftritt von nur „100 bis 200 Stiefel-Faschos“ sei für die „ein Flop“ gewesen. Das, meinen Sören* und Mark, beide im Rhein-Main-Gebiet aktiv, sei zu einem guten Teil „der dezentralen Kampagne“ zu verdanken, die viele kleine Gruppen verband.

Bundesweit seien in der Aktionswoche gegen die rechten Aufmärsche in Wunsiedel mindestens 4.000 Menschen mobilisiert worden. „Und“, staunen sie, „wir hatten in diesem Jahr sogar ein sehr gutes Presseecho.“ JournalistInnen nutzten das Bonner Koordinationsbüro, das „oft schneller als die Polizei“ gewesen sei, wenn es galt, herauszufinden, wo die NeofaschistInnen sich versammeln wollten.

Daß die Luxemburger Polizei mit ihrem kurzen, aber wirkungsvollen Einsatz den AntifaschistInnen die Show gestohlen hat, registrieren sie mit gemischten Gefühlen: „Das war schon toll, zu sehen, wie die Neonazis ganz klein waren und sogar fragten, ob sie mal pinkeln gehen dürfen.“ Den bundesdeutschen Polizeieinsatz, von den PolitikerInnen sehr gelobt, sehen sie kritischer: „Das war doch eine PR-Sache für das Ausland.“ Und: „Die hatten nach Fulda, Magdeburg und dem Deckert-Urteil in Mannheim einfach Handlungsdruck.“

Die mittlerweile wohl vierte Generation der Autonomen, AntifaschistInnen und AnarchistInnen hat keine Kleiderordnung. Sie ist jung, emsig und ordentlich und listet in kiloschweren Chronologien und Dokumentationen akribisch auf, was immer sie über neue und alte FaschistInnen in Deutschland in Erfahrung bringen kann. Sie besucht Prozesse, protokolliert die braunen Telefondienste, klinkt sich in Mailboxen ein und liest rechte Publikationen. Und sie betreibt seit einigen Monaten – ganz gegen ihre Gepflogenheiten – intensive Öffentlichkeitsarbeit. Ihre Cafés und Zentren bieten Veranstaltungsreihen an.

Das Spektrum ist breit, die Gruppen sind klein, eher staatsfern und gerechtigkeitssüchtig als ideologisch gefestigt. Die Vorbilder sind nicht mehr Che Guevara und Angela Davis, sondern eher Antihelden, zum Beispiel Jürgen Dietz. Der Vorsitzende des Asta der Universität Gießen beging 1974, gerade vierundzwanzig Jahre alt, Selbstmord. Er war von einem Gericht wegen der Sprengung einer Konventssitzung als Rädelsführer verurteilt worden. Junge Studenten riefen zu Dietz' zwanzigstem Todestag Anfang August zum Gedenken auf: „Gelingt es uns einmal, die Stille der Gewalt zu durchbrechen, uns zu wehren gegen das, was uns zerstört, dann wird von außen über unser Leben verfügt.“

Vor allem aber wären die jungen AntifaschistInnen, käme ihnen nicht immer wieder ihre eigene Klandestinität in die Quere, ein wichtiges Frühwarnsystem gegen den Neofaschismus: Erst als die LeiterInnen mehrerer Behinderteneinrichtungen und das Regierungspräsidium Ende Juli in Gießen die Öffentlichkeit alarmierten, wurde offenbar, daß seit Ende 1993 Behinderte massiv bedroht und terrorisiert worden waren. Die Betroffenen schwiegen aus Angst. AntifaschistInnen hatten Übergriffe in der Region jedoch schon seit 1991 in langen Listen registriert und im Sommer 1993 in der Turnhalle von Indheiden ein Konzert gegen die Gewalt von rechts veranstaltet. Absicht war eine Solidarisierung gegen die seit 1992 in der Region Wetterau und „insbesondere in Hungen-Indheiden immer offener auftretenden Faschisten und andere rechte Jugendliche, die einen enormen Druck und Terror gegen linke und andere Menschen“ ausübten. Daß die Autonomen nach dem Konzert von der Polizei „überfallen“ wurden, empfanden sie als ungerecht, daß sie sich dagegen mit Flaschen- und Steinwürfen wehrten, als legitim.

Im Winter 1992 war auf das Flüchtlingsheim „Quellenhof“ in Indheiden scharf geschossen worden. Die beiden Täter wurden lediglich wegen Sachbeschädigung und auf Bewährung verurteilt. Daß ihre „berechtigte antifaschistische Gegenwehr“ die jungen Autonomen immer wieder ins Gefängnis bringt, kommentieren sie verbittert: „Und die faschistischen Mörder laufen frei herum.“ „Betroffenheitsheuchelei und Lichterketten“ hätten daran überhaupt nichts geändert.

Im Juni zum Beispiel wurde in Mainz gegen unter martialischem Polizeiaufgebot gegen einen jungen Mann verhandelt. Das Gericht verurteilte ihn zu zwei Jahren Haft. Ihm wurde schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen, weil er sich an einer Prügelei mit acht Mitgliedern der verbotenen „Deutschen Alternative“ (DA) bei ihrem wöchentlichen Kameradschaftsabend beteiligt habe und dabei Autos demoliert worden seien. Er hatte vorher schon fünf Monate in Untersuchungshaft zugebracht.

In der Begründung hieß es: „Der Beschuldigte ist ... Mitglied einer sich antinational sozialistisch bezeichnenden Gruppe ... Bereits die hohe Straferwartung begründet die Fluchtgefahr, die dadurch verstärkt wird, daß er als Mitglied der autonomen Szene jederzeit in den Untergrund abtauchen kann.“ Der Frankfurter Rechtsanwalt Berthold Fresenius hatte damals in seinem Plädoyer festgestellt, daß für ein ähnlich hohes Strafmaß ein „strammer Neonazi schon mindestens einen Sprengsatz legen“ müsse – und damit das Mannheimer Deckert-Urteil vorausgeahnt.

Eine Gruppe in Gießen mobilisiert seit März 1994 mit VANU- News, den „Informationen des Vereins zur Aufdeckung Nazistischer Umtriebe“. Die Mitglieder wollen unerkannt bleiben: „Wir, das sind unabhängige Anti-FaschistInnen. Unser Erfolgsgeheimnis: Anonymität.“ Die News listen Übergriffe auf Behinderte und Schwarze auf und rechten Telefonterror gegen Angestellte von drei Behindertenwohnheimen in der Region. Und sie nennen Treffpunkte rechter Skinheads und Rockergangs wie das „Rock-Botton“ in Kinzenbach: „Entweder gefallen Musik und Publikum dem Geschäftsführer selbst sehr gut, oder ihm ist es scheißegal, wie er den Leuten die Kohle aus der Tasche zieht.“ Der Wirt reagierte verschreckt und distanzierte sich.

Auch in Grünberg am Rand des Vogelsbergs gab es seit 1991 immer wieder Überfälle auf Flüchtlingsheime und Menschen. Das Haus eines SPD-Politikers wurde Anfang 1994 mit Brandbomben beworfen, weil er sich für Ausländer einsetzte. Gewöhnliche Bedrohungen gehören hier, so die VANU-AutorInnen, „schon zum Alltag“. Das Info, seinerseits nicht zimperlich, veröffentlicht Namen und Adressen rechter ZeitgenossInnen.

Das Antifa-Bündnis Rhein- Main-Neckar gab im Juni Termin und Ort einer Sonnenwendfeier der Neonazis in Worms bekannt. Es outete den Wormser Polizeichef als Landesvorsitzenden der Republikaner und den Weingutbesitzer und NPDler Wilfried Finger als Veranstalter.

In 120 Städten wurde im Frühjahr das „Bündnis gegen Nazi-Zeitungen“ mit „Nazipresse-Boykott- Aktionen“ aktiv. Junge Leute suchten Verkaufsstellen und Kioske auf, in denen rechte Publikationen angeboten werden. Sie demonstrierten, verteilten Flugblätter, diskutierten mit den Kunden, schrieben Briefe an Grossisten und Kioskbesitzer. Daß in Berlin einige Kioske abbrannten, erwähnt das Bündnis nur am Rande. Zufrieden registriert es dagegen die Klage über einen Umsatzrückgang der braunen Propaganda-Postillen. Verlagschef Gerhard Frey rief in einem seiner Blätter seine Leser zum Durchhalten auf.

Ein „herber Schlag“ für die braunen Reisegesellschaften zu Neonazitreffen aller Art muß es auch gewesen sein, daß sich viele Busunternehmer weigerten, ihnen ihre Fahrzeuge zu vermieten. Allein im Rhein-Main-Gebiet hatte eine Frankfurter Antifa-Gruppe „mindestens 300 Unternehmen“ angeschrieben und sie in einem offenen Brief vor dem Heß-Geburtstag und den „Ausflugsfahrten“ der Neonazis gewarnt. Das Rundschreiben wurde dann „sogar von der ÖTV aufgegriffen“, meldeten die Aktiven anschließend zufrieden.

Antirassistische Notruf- und Infotelefone gibt es mittlerweile in mehreren Städten, unter anderem in Berlin, Hamburg, Göttingen und Gießen. In Frankfurt ist es über den Autonomentreffpunkt „Café Exzeß“ in Bockenheim zu erreichen. Dort gibt es auch jeden Montag Informationen im „Antifa-Café“. Für das von Schließung bedrohte „Exzeß“ setzten sich inzwischen auch GewerkschafterInnen und Jungsozialisten ein: „...auch wenn uns die Sprache der Jugendlichen oft fremd ist und wir einzelne Aktionen in der Vergangenheit abgelehnt haben ...“

* Namen von der Redaktion geändert

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