: UNO-Friedensstifter vor dem Bankrott
Die Verantwortlichen im UN-Hauptquartier klagen über Unterfinanzierung und fehlenden Willen aller Mitglieder, im militärischen Bereich nationale Souveränität abzugeben ■ Aus New York Andreas Zumach
Acht Computer, zahlreiche Telefone, ein Kopierer und zwei Faxgeräte stehen in einer Büroetage, die nicht größer ist als das Einwohnermeldeamt einer Kleinstadt. Hier, im 36. Stockwerk des New Yorker UNO-Hauptquartieres mit prächtigem Blick auf den East River, befindet sich die Planungs- und Koordinationszentrale für den Einsatz von derzeit über 70.000 Soldaten in 17 Konfliktgebieten dieser Erde, das „Department for Peacekeeping Operations“ (DPKO) der Vereinten Nationen. Die im US-Kongreß und anderswo häufig vorgebrachte Kritik an aufgeblähter Bürokratie und Verschwendung in der UNO ist zumindest hier fehl am Platz.
„Keine einzige Regierung eines der 186 UNO-Mitgliedsstaaten würde für ihr Verteidigungsministerium die Bedingungen akzeptieren, unter denen wir hier arbeiten müssen“, klagt Hauptmann Kees van Egmond. Der Niederländer mit langjähriger Erfahrung in der Militärpolitik seines Landes ist einer von neun Offizieren unterschiedlicher Nationalität, die zusammen mit einigen Sekretärinnen die gesamte DPKO-Belegschaft bilden. Van Egmond, im Department derzeit hauptverantwortlich für den Einsatz in Ruanda, hofft, daß die Zahl der Offiziere demnächst wenigstens auf 23 aufgestockt wird. Doch dieser von UNO-Generalsekretär Butros Ghali unterstützte Vorschlag und vor allem seine Finanzierung müssen noch von der UNO-Vollversammlung abgesegnet werden, die Ende dieses Monats wieder zusammentritt. Die Zustimmung der Versammlung ist keineswegs sicher.
Eine Aufstockung des Personals in der New Yorker Koordinationsstelle allein wäre allerdings keine Lösung für die zentralen Probleme der Peacekeeping-Operationen, die der zuständige Untergeneralsekretär der UNO, Kofi Annan, noch mit diplomatischer Zurückhaltung beschreibt: „Es ist zunehmend schwierig, Mitgliedsstaaten zu finden, die Soldaten samt der notwendigen Ausrüstung sowie Finanzmittel für militärische Operationen der UNO bereitstellen.“ Van Egmond und der stellvertretende Direktor des PKO- Departments, der dort seit 27 Jahren tätige US-Amerikaner Denis Beissel, listen die harten Fakten auf: 1990 wurden für den separat geführten Peacekeeping-Haushalt der UNO knapp 600 Millionen US- Dollar veranschlagt. Damals wurde der Haushalt nicht einmal ausgeschöpft. Überschüssige Gelder konnten noch in das normale UNO-Budget umgeschichtet werden. Für 1994 beträgt der Haushaltsansatz für Peacekeeping- Operationen bereits über vier Milliarden US-Dollar und ist damit um 40 Prozent höher als das normale UNO-Budget. Die vier Milliarden werden sich am Jahresende mit Sicherheit als zu wenig erweisen. Schon jetzt ist das DPKO nicht mehr liquide. Denn eine Reihe von Mitgliedsstaaten steht mit zusammen rund zwei Milliarden Dollar rückständiger Pflichtbeiträge in der Kreide. Fast die Hälfte davon müßten die USA aufbringen. Die Regierung in Washington hat Ende August zwar zum wiederholten Male angekündigt, ihre zum Teil noch aus dem Haushaltsjahr 1992 stammenden Schulden endlich zu begleichen. Zum 1. September überwiesen US-Beamte dann jedoch nur eine „Anzahlung“ von 335 Millionen.
Doch selbst wenn die US-Regierung ihre Schulden vollständig begleichen würde, könnte das nur kurzfristig Erleichterung schaffen. Mit dem Geld läßt sich gerade ein Teil der Kosten zurückerstatten, die zahlreichen Mitgliedsstaaten in den letzten vier Jahren durch die Bereitstellung von Soldaten und Ausrüstung für UNO-Operationen entstanden sind. Solide Planung ist unter diesen Umständen nicht möglich. Wenn der UNO-Sicherheitsrat den politischen Beschluß über eine neue Peacekeeping- Operation faßt, liegt ihm zwar eine grobe Kostenkalkulation des DPKO vor. Doch umsetzen kann das Department den Beschluß erst, wenn die Parlamente der zur Teilnahme an der Operation bereiten Staaten deren Vorfinanzierung gebilligt haben. Dadurch entstehen die oft monatelangen Verzögerungen zwischen Ratsbeschluß und der Entsendung von UNO-Truppen in eine Konfliktregion.
„Wären wir sofort nach dem Ratsbeschluß vom April zur Aufstellung einer 5.500 Mann starken Truppe für Ruanda handlungsfähig gewesen, hätte das Leben von Zehntausenden Menschen gerettet werden können“, betont Annan. Die von Butros Ghali im Juni 1992 vorgeschlagene ständige UNO-Truppe unter gemeinsamem Kommando von Sicherheitsrat und Generalsekretär ist nach seiner Überzeugung das beste Modell.
Doch da die USA, Frankreich und Großbritannien diesen Vorschlag rundweg ablehnten, mußte sich das DPKO um die „zweitbeste Lösung“ bemühen. In den letzten 15 Monaten wurden die UNO- Mitgliedsregierungen ersucht, nationale „Stand-by-Kontingente“ bereitzustellen, die der UNO im Bedarfsfall schnell zur Verfügung stehen sollen.
Doch auch dieser Ansatz scheiterte. Ganze 23 Staaten erklärten sich im Prinzip bereit, insgesamt rund 35.000 Soldaten nebst Ausrüstung anzubieten. Bis heute machte keiner dieser Staaten seine Bereitschaftserklärung auch in Form einer formalen Vereinbarung verbindlich. Und auf das dringende Ersuchen des DPKO, sich an der Ruanda-Truppe zu beteiligen, reagierten alle 23 negativ. Erst nach dieser „bitteren Enttäuschung“ (Kofi Annan) gab der Sicherheitsrat Frankreich freie Hand für die „Opération Turquoise“. Das DPKO geht nach diesen Erfahrungen davon aus, daß Mitgliedsstaaten sich auch in formalen Vereinbarungen über Stand-by- Kontingente ausdrücklich das Recht vorbehalten werden, in jedem konkreten Fall einer UNO- Anfrage zu entscheiden, ob sie tatsächlich Soldaten und Ausrüstung zur Verfügung stellen. Das grundsätzliche Problem, so Untergeneralsekretär Annan, sei denn auch weniger die Finanzierung von Operationen als „der fehlende politische Wille der Mitgliedsstaaten“, im militärischen Bereich auch nur einen kleinen Teil nationaler Souveränität aufzugeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen