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„Ich habe geerbt“

n Vor 15, 20 Jahren waren wir noch alle gleich, meine Freunde und ich – dank BAFöG. Nur in kleinen Randbemerkungen erfuhren meine Freunde mal so: aha, der hat wohl reiche Eltern. Bekommt kein BAFöG und fährt'n Auto. Aber wir wohnten alle in den gleichen Altbauwohnungen mit Ofenheizung. Heute ist alles anders. Ich lebe in einer Eigentumswohnung, die eine halbe Millionen Mark wert ist. Erbvorauszahlung. 300.000 Mark habe ich außerdem auf dem Konto. In 10, spätestens 15 Jahren kommt dann noch mal eine Erbschaft von etwa einer halben Million dazu.

Ich wohne also mietfrei und kann meine Arbeit locker angehen. Um meine Altersversorgung muß ich mir keine Sorgen machen, anders als viele Kollegen, die sich als Freiberufler durch den Markt quälen. Aufträge, die ich grauenvoll langweilig finde, brauche ich nicht anzunehmen. Das ist ein wahnsinniger innerer Luxus. Obwohl ich inzwischen auf dezente Markenkleidung umgestiegen bin und mir ein teures Auto leisten könnte, ist es aber nicht der Konsum, den ich genieße. Nein, vor allem gefällt mir das Gefühl, irgendwie drüber zu stehen über dem Gewurstel, mit dem sich andere abgeben müssen. Das Geld gibt mir eine gewisse Souveränität, deswegen finde ich auch, Geld hat was Erotisches. Aber es ist mir natürlich unangenehm gegenüber denjenigen, die wenig haben und nichts erben. Ist schon komisch: Meine engsten Freunde kennen zwar meinen Ehestreß bis ins Detail, aber über unseren wirklichen Besitzverhältnisse reden wir nicht.

Bei neuen Bekanntschaften, da beäugt man sich in meiner Generation der älteren Linken unterschwellig immer genau, besonders wenn wir über soziale und politische Fragen diskutieren: Wie steht es eigentlich mit ihm selber, ist er Erbe oder Nicht-Erbe? Hat er nicht auch selbst dicke profitiert vom kapitalistischen System? Fängt einer an, mit Kennerschaft über die Zinsabschlagsteuer und Einheitswerte zu reden, bin ich irgendwie fast erleichtert: Aha, also auch vermögend, wahrscheinlich auch Erbe. Dann kommen wir gleich so richtig ins Plaudern über Festverzinsliche und Aktien, oder ob man vielleicht doch lieber in Immobilien anlegen sollte. Aber ein Schwein darf man ja auch nicht sein, etwa Mieter rausklagen. Erben unter sich, das wird immer eine richtig gemütliche Runde. Aber das Thema Geldanlagen schleicht sich auch sofort ein wie eine Sucht.

Wenn dann einer dazukommt, der sich abrackern muß, vielleicht mühsam eine kleine Eigentumswohnung abstottert und sich die Rente durchrechnet, dann wird es still in der Wohnküche. Es ist ja auch irgendwie obszön, Geld zu haben ohne jede Gegenleistung.

Um wenigstens ein bißchen Gerechtigkeit zu schaffen, verleihe ich manchmal ein paar zehntausend Mark an Freunde. Gegen einfache Quittung und einen niedrigen Zinssatz. Immerhin spare ich dabei ja auch die Zinsabschlagsteuer. Und wenn meine Eltern die unversteuerten Zinsen von ihren Auslandsdepots in bar rüberreichen, dann zahle ich auch schon mal einen Tausender bei der Bank ein, als Spende für Bosnien. Es gibt nichts Schöneres, als Geld großzügig zu verschenken, das man nicht selbst verdienen mußte.

Der 39jährige Erbe aus Berlin möchte anonym bleiben. Name der Redaktion bekannt.

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