: Immer mehr erben immer mehr
■ Nur bei den Grünen gibt es die Wahlkampfforderung nach Verdreifachung der Erbschaftssteuer, aber auch bei den Linken werden Erbschaften voll akzeptiert / Die Spaltung zwischen Erben und Nicht-Erben verläuft ...
Nur bei den Grünen gibt es die Wahlkampfforderung nach Verdreifachung der Erbschaftssteuer, aber auch bei den Linken werden Erbschaften voll akzeptiert / Die Spaltung zwischen Erben und Nicht-Erben verläuft heute quer durch die Gesellschaft
Immer mehr erben immer mehr
Heiß diskutiert wird im Wahlkampf die Solidaritätsabgabe auf Arbeitseinkommen. Höhere Steuern auf Vermögen, insbesondere Erbschaften, fehlen dagegen in den Programmen der großen Parteien. Nicht nur die ganz Reichen werden damit geschont, denn „Privatbesitz“, so Stefanie Wahl vom Bonner Wirtschaftsinstitut IWG, „ist heute so breit gestreut wie nie zuvor“. Höhere Erbschaftssteuern wären darum ein Generalangriff auf die heiligsten Werte der bundesdeutschen Gesellschaft: ein Eigenheim zu bauen und den Besitz der Familie zu mehren.
Von den mehr als 100 Milliarden Mark an Immobilien und Geldvermögen, die schätzungsweise alljährlich in Deutschland vermacht werden, sieht der Fiskus bisher wenig. Das Bundesfinanzministerium kassiert in diesem Jahr voraussichtlich nur etwa 3,3 Milliarden Mark an Erbschaftssteuer. Das sind gerade mal drei Prozent des Wertes der vererbten Vermögen. „Die Erbschaftssteuer ist eine Bagatellsteuer“, rügt Wolfgang Bayer, Wirtschaftsexperte beim Bundesvorstand Bündnis 90/ Die Grünen in Bonn.
Die Grünen wollen die staatlichen Einkünfte aus der Erbschaftssteuer verdreifachen: „Ein solcher Prozentsatz entspräche in etwa den Verhältnissen in Frankreich, wo rund zehn Prozent der Erbschaftsaufkommen an den Staat abgeführt werden“, erklärt Bayer. Aber wie gesagt: Eine Erhöhung der Erbschaftssteuer würde breite Schichten treffen.
Nach Zahlen des Wirtschaftsinstituts DIW (1993) besitzt jeder westdeutsche Haushalt im Schnitt ein Geldvermögen von 127.000 Mark (Osten: 35.000 Mark). Die Hälfte der Arbeitnehmerfamilien mit mittleren Einkommen wohnt im Westen im eigenen Heim, im Osten nur 21 Prozent. Laut IWG verfügt heute jeder Westdeutsche über real sieben Mal soviel Besitz wie noch 1950.
Die ärmere Hälfte der Gesellschaft in Westdeutschland besitzt nach Erhebungen des IWG zwar nur etwa fünf Prozent des gesamten privaten Geldvermögens, verfügt aber immerhin noch über ein Drittel des Haus- und Grundverbesitzes. Vererbt wird nach Wahl daher „quer durch alle Einkommensgruppen“.
Dank des Nachkriegsbooms in der Wirtschaft und explodierender Immobilienpreise kann so manche westdeutsche Familie mit ehemals eher kleinbürgerlichen Gehältern heute ein Millionenvermögen vorweisen. Wer von der Oma ein kleines Häuschen erbte und dann noch in den sechziger Jahren günstig eine Immobilie dazukaufte, hinterläßt heute nicht selten das zehnfache an Werten — auch wenn er als mittlerer Angestellter Monat für Monat nur ein Durchschnittseinkommen nach Hause brachte. „Weit über die Hälfte des gesamten privaten Vermögens gehört heute Arbeitnehmerfamilien“, berichtet Wahl.
Höhere Erbschaften sind entsprechend verbreitet. Nach Hochrechnungen des IWG für den Westen dürften bis zum Jahre 2000 etwa 25 Prozent der Erbschaften schon rund 250.000 Mark bringen. 20 Prozent der Nachlässe bescheren den Bedachten sogar Werte in Höhe von rund 500.000 Mark, zwei Prozent der Erbschaften mindestens eine Millionen.
Die Nachlässe werden steuerlich geschont: Hinterläßt beispielsweise ein Rentner seinem Sohn 590.000 Mark an Geldvermögen, so muß der Nachwuchs nach Abzug seines Freibetrages von 90.000 Mark für den Rest nur 37.500 Mark an Erbschaftssteuer berappen. Handelt es sich bei dem Vermögen um eine Immobilie, fällt die Besteuerung noch günstiger aus. Denn auch wenn das Haus heute über eine halbe Millionen Mark wert ist – besteuert wird im Westen nach dem 1,4fachen des Einheitswertes aus dem Jahre 1964. Der festgelegte „Wert“ für das Haus würde damit wohl kaum den Freibetrag überschreiten, der glückliche Nachkomme müßte keine Erbschaftssteuer entrichten. Im kommenden Jahr wird allerdings ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwartet, nach dem die Einheitswerte erhöht werden sollen. Schon aber hat nicht nur die CDU, sondern auch die SPD versichert, kleinere Hauseigentümer steuerlich nicht stärker belasten zu wollen. Zu viele Deutschen im Westen haben zuviel Geld und Immobilien – kein Wunder also, daß sich die großen Parteien nicht trauen, den Bundesbürgern die materiellen Lebensziele mit höheren Erbschaftssteuern zu vermiesen.
Wer aber nichts erbt, wird es künftig schwerer haben, durch eigene Arbeit zu Wohlstand zu kommen. Denn mit derzeit sinkenden Netto-Arbeitsverdiensten öffnet sich die Schere zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen. „Wer heute bereits Kapitalvermögen hat, dürfte es sichtlich mehren. Wer noch keines hat, dem dürfte es schwerer als bisher fallen, eines zu bilden“, stellt IWG—Leiter Meinhard Miegel fest.
Nach Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts nehmen in Westdeutschland die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen in diesem Jahr um etwa neun Prozent zu. Bei den Löhnen und Gehältern dagegen müssen die Arbeitnehmer netto mit einem Minus von 1,5 Prozent rechnen. Rund 13 Prozent des Einkommens werden in Deutschland im Schnitt auf die hohe Kante gelegt. Aber diese international ungewöhnlich hohe Sparquote sinkt.
Höhere Erbschaftssteuern und höhere Einheitswerte für Immobilien könnten zwar für gerechtere Verteilung sorgen – aber „wer über große Vermögen verfügt, findet immer Tricks“, meint ein Berliner Steuerberater: „Da gründet man dann eben mal eine Holding, oder legt das Geld in Kunstsammlungen an.“ Wer wirklich reich ist, dem kann auch eine höhere Erbschaftssteuer nichts anhaben. Barbara Dribbusch
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