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Urlaub bei den Wollschweinen

Das Ökoprojekt in Babe – Wie nabeln wir uns jemals vom Finanztopf ab? Mit einem Hautierpark, Arbeitseifer, Subventionen und ohne Konzept in die touristische Zukunft  ■ Von Tomas Niederberghaus

Hat sich schon einmal jemand darüber Gedanken gemacht, ob das Rote Wollschwein Mangalitza im Winter weniger friert als ein gewöhnliches Hausschwein? Oder ob das Kärntner Brillenschaf kurz- oder weitsichtig ist? Im brandenburgischen Babe, also dort, wo sich Katz und Hund noch gute Nacht sagen, kann sich der Reisende solchen Fragen nicht entziehen. Um das gleich zu klären: Die Enzyklopädie beschreibt das Rote Wollschwein als ein Viech mit unvorstellbar dicker Speckschicht, auf der sich lange, lockige Borsten kuscheln. Es gibt sich äußerst mütterlich, streßresistent und ist robust gegen arktische Temperaturen. Das Kärntner Brillenschaf hat eine stark ausgeprägte Ramsnase, schwarz umrandete Augen und fleischige Hängeohren. Das sogenannte „Ablammergebnis“ liegt bei 150 Prozent.

Babe ist kein Dorf. Babe ist eine Siedlung. Sie nestelt im landschaftlichen Wechselspiel bewaldeter Sandhügel und flacher Niederungsgebiete, mitten im Havelland. Stölln liegt in der Nähe. Dort unternahm Otto Lilienthal seine letzten Flugversuche. Schloß Ribbeck ist nicht weit. Dort steht vielleicht heute noch der in Theodor Fontanes Gedicht beschriebene Birnbaum. Babe schreibt eine andere Geschichte: Hier hat der Verein „lebens-Art e.V.“ den ersten Haustierpark des Landes errichtet, mit etwa 45 vom Aussterben bedrohten Rassen. Das Vieh scharrt, suhlt und lungert zwischen lauschigen Holzhütten. Und lockt die Besucher. Als ein Fernsehsender unlängst über das Projekt berichtete, kamen gleich 700 Touristen an einem Wochenende. Derart touristischer Rummel ist den Vereinsmenschen jedoch gar nicht recht. Denn Babe selbst zählt nur 88 Seelen. Andererseits setzen die Macher auf die Wunder des Fremdenverkehrs. Nur ökologisch soll er sein. Wie das ganze Ortsprojekt. Und Geld abwerfen muß er. Denn Babe hängt am Finanztropf verschiedener Ministerien und Ämter des Landes. Der Jahresetat liegt bei etwa 3,5 Millionen Mark.

Wenn der Hahn abgedreht wird, dann wird sich die Ökoidylle der schnuckeligen Kommune gegen die rauhen Winde der Marktwirtschaft schützen müssen.

Lebens-Art e.V. hat die Menschen in Babe bisher vor dem sozialen Sumpf bewahrt. Der Verein wurde kurz nach der Wende von Ostberliner Freaks gegründet, als sämtliche Babener durch die Abwicklung der LPG „Blühendes Leben“ in die Arbeitslosigkeit buchsiert wurden. Schon zu DDR-Zeiten hatten sich die langhaarigen Berliner in Babe dem Provinzdasein verschrieben, um den kommunistischen Konventionen zu trotzen. Dann wurde aus Freunden ein Verein. „Zweck“, sagt Peter Bergner von lebens-Art e.V., „ist es, seltenes Vieh zu erhalten und Natur und Umwelt zu schützen“. Fast alle Babener stehen derzeit bei lebens- Art in Lohn und Brot. „Das Projekt ist nicht aufgepropft“, sagt Bergner, „deshalb geht's hier auch so unkompliziert zu.“

Sie scheren Schafe, stricken Wollpullover und nähen Kleider aus Naturfasern. Sie züchten Schweine und arbeiten in der biologischen Landwirtschaft. „Für viele“, sagt Manager und Mitbegründer Frank Wallroth von lebens-Art e.V., „sind wir ein soziales Auffangbecken.“ Etwa für den 55jährigen Siegfried Henning. Nach der Wende stand der staatlich geprüfte Landwirt vor dem Nichts. Ein Jahr hat er caritativ in Babe mitgeholfen. Inzwischen leitet er den Ökoanbau. „Im Sommer“, loben die Verantwortlichen, „stand er noch nachts um 10 Uhr auf dem Feld, um Kartoffeln einzuholen.“ Hennings Engagement stehe „in keinem Verhältnis zu seinem Verdienst“.

Doch so niedrig wie die Einkommen der ABM-Kräfte sind auch die Ausgaben. Eine Mahlzeit kostet für Mitarbeiter – und auch für Touristen – etwa soviel wie ein Magnum-Eis: 2,80 Mark. In der weißgekalkten Kantine des 130 Jahre alten Gutshauses hocken die Babener an alten Holztischen mit blau-weißen Wachstüchern. Das Besteck klappert auf den Tellern. Gesprochen wird nicht. Bratwurst, Kraut und Kartoffeln lassen dazu keine Zeit. Wenn Fremde eintreten, lösen sich die versteinerten Blicke. Für wenige Sekunden. Umgekehrt schaut auch das eben eingetretene ältere Ehepaar aus Nürnberg etwas mißmutig auf das spartanische Ambiente mit dem Rest LPG-Flair. „Wer ein Drei-Sterne-Hotel erwartet, wird bei uns nicht zufrieden sein“, sagt Peter Bergner, „bis der Hof mal so richtig in Schuß ist, werden einige Jahre vergehen.“ So lang müssen Touristen mit einfachen Matratzen auf dem Boden vorliebnehmen. Für die Körperpflege stehen Emailleschüsseln bereit.

Natürlich ist das noch kein Mindeststandard. Klar ist Peter Wallroth nur eins: „Wenn die Zahl der derzeit etwa 140 Mitarbeiter auf „höchstens ein Fünftel“ heruntergeschraubt ist, wenn das Kind „lebens-Art“ finanziell auf eigenen Beinen stehen muß und die marktwirtschaftlichen Mechanismen greifen, dann soll der Fremdenverkehr „mit Volldampf laufen“. Denn er bringt Erlöse aus dem Verkauf von Ökoprodukten und aus Eintrittsgeldern für den Tierpark. Auch Töpfer- und Flechtkurse, Pferdeverleih und Führungen durch das Niedermoor mit seinen ornithologischen Besonderheiten wie Wart- und Brachvögeln sollen offensiver als bislang angeboten werden.

Die ersten Reisenden haben Babe bereits entdeckt. Insbesondere Schulklassen, VHS-Gruppen und Familien mit Kindern. Erwachsene dürfen das kreative Ökoleben oder das „Lügenmuseum“ genießen: ein Panoptikum wie beim Trödler, wo mit blöden Sprüchen am Eingang Politiker karikiert werden. Kids hingegen bekommen nicht nur im Haustierpark und dem Streichelzoo glänzende Augen, sondern auch, wenn die Indianer aus der Nachbarkommune in Babe einfallen: Mit Federschmuck und Lendenschürzchen zeigen sie akrobatische Einlagen auf Pintopferden. Die Indianer, das ist eine andere Gruppe ostdeutscher Aussteiger. Ernsthaft leben sie wie Indianer unweit von Babe in Wigwams, tanzen wie Schamanen und heilen mit Kräuterkränzen. „Fremde“, weiß Peter Bergner, „sind in deren Hoheitsgebiet nicht willkommen.“ Wer die Natur um Babe erkundet, wird ihre Trommeln jedoch hören und manchmal von einer vorbeigaloppierenden Squaw überrascht.

Ist auch Babe eine naive Alternative? „Ein richtiges Konzept haben wir für den Tourismus nicht erarbeitet“, gesteht Frank Wallroth, „die Zuschüsse reichen gerade zum Überleben und ermöglichen kaum Investitionen.“ Die Gelder erlauben ein vorläufiges Überleben und kurzfristig Arbeitsplätze für den Ort. Die grünen Manager leben von der Hand in den Mund und hoffen auf die Gunst der Stunde: Die Zielgruppe soll sich ganz von selbst herauskristallisieren. Eine nette Hoffnung in Zeiten des perfekten Marketings. Daß es dennoch klappt, daran glauben alle ganz fest. Sonja Wallroth, Franks Mutter, hat in der Babener Hauptstraße 10 bereits die erste Pension eröffnet. Ein dänisches Möbelhaus hat neue Betten und Matratzen geliefert. Zwei Zimmer stehen Fremden in dem Bed-and-breakfast- Bauernhaus zur Verfügung. „Meine Gäste verwöhne ich mit selbstgemachter Marmelade und frischen Landeiern“, sagt Frau Wallroth, die eigentlich Lehrerin aus Prenzlauer Berg in Berlin ist. Zu jeder Eintragung im Gästebuch fällt der Dame ein Anekdötchen ein. Auch ihre Nachbarin Frau Neumann („Wenn sie nicht betrunken ist, ist sie ganz toll“) wisse genau, was sie von den Weitgereisten zu halten habe. „Das ist ja eine Zicke“ oder „Na, das sind ja nette Leute aus Potsdam“ lauten Frau Neumanns Kommentare. In Babe machen sich die Menschen noch Gedanken.

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