: Keine glaubwürdige Differenz erreicht
■ TiK: Matthias Frense verunglückt mit „Replay“, einem Stück über Kindesmißbrauch
In immer stärkerem Maß benützt das Thalia-Theater seine Werkstatt-Bühne in der Kunsthalle dafür, Stücke über aktuell diskutierte Phänomene aufzuführen. Neuer Rechtsradikalismus, Identifizierung mit Splatter-Filmen und jetzt Kindesmißbrauch lauten die Themen dort. Derartiges Theater an der Grenze zwischen aufklärerischer Dokumentation und kratzenden Verweisen auf eine angeblich allgemeiner werdende Verrohung setzt aber zwei Dinge voraus, will es sich von der Medien-Darstellung unterscheiden: Exakte Recherche und detaillierte Einfühlung in die Seelenwelt der dargestellten Vorbilder.
Mit einigem Recht läßt sich deshalb behaupten, daß derartige Inszenierungen extrem hohe Anforderungen an eine Regie stellen, die sich mit der Arbeit an einem Klassiker nicht vergleichen lassen. Deswegen ist es höchst verwunderlich, daß ein Thema wie Kindesmißbrauch einem Regie-Neuling übertragen wird, der mit der präzisen Zeichnung des Grauens einer jahrelangen emotionalen Tortur dann auch sichtlich überfordert war.
Matthias Frense, aus einer der Regie-Klassen Jürgen Flimms hervorgegangen, gelingt es nie, den menschlichen Abgründen Transparenz zu geben und dies seine Schauspielern (Stephan Lohse, Nicola Thomas) vermitteln zu lassen. Deren Ausbrüche des entsetzlichen Erinnerns und Erfassens sind mehr ansatzlos laut als aus der Tiefe emporbrechend und ebenso unstimmig wandeln sie sich als Persönlichkeit abrupt und unglaubwürdig.
Daß auch dem Stück von Andrew Vachss, eines in den USA höchst populären Anwaltes sexuell mißbrauchter Kinder, nicht viel abzugewinnen ist, kommt erschwerend hinzu. Ohne die Fertigkeit einer fein gesponnenen Dramaturgie, wie dieses Stück sie nicht besitzt, findet ein derartig mit Medien-Geilheit aufgelandenes Thema keine glaubwürdige Differenz. Daß Replay zudem mit der Aufforderung zur Selbstjustiz endet, macht die Aufführung umso zweifelhafter. Wie man dasselbe Thema auch klug und genau analysiert auf die Bühne bringen kann, hat erst vor kurzem die Inszenierung Der Kindermörder in den Kammerspielen gezeigt. Till Briegleb
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